Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhalt des volljährigen Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn ein Elternteil mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Kindes diesem ggü. nunmehr barunterhaltspflichtig wird, kann das Kind entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1607 Abs. 2 Nr. 1 BGB allein vom anderen Elternteil seinen nach dessen Einkommen berechneten Unterhalt fordern, wenn der eine Elternteil tatsächlich nicht leistungsfähig ist. Dabei muss sich das Kind auf etwaige fiktiv zuzurechnende Einkünfte des nicht leistungsfähigen Elternteils nicht verweisen lassen. Dem anderen Elternteil bleibt es unbenommen, Regress zu nehmen.
2. Das Unterhalt verlangende volljährige Kind trifft in der Regel in der Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn keine Erwerbsobliegenheit.
3. Eine bewusst falsche Strafanzeige gestützt auf den Vorwurf der Nötigung im Straßenverkehr kann zu einer Verwirkung des Unterhaltsanspruchs um 2/3 führen.
Normenkette
BGB § § 1601 ff., § 1603 Abs. 2 Nr. 2, § 1610 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Bottrop (Urteil vom 02.08.2005; Aktenzeichen 19a F 229/04) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten sowie die Anschlussberufung der Klägerin wird das am 2.8.2005 verkündete Urteil des AG - FamG - Bottrop teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Kindesunterhalt in folgender Höhe zu zahlen:
- insgesamt 1.225,45 EUR für die Zeit vom 1.6.2004-31.5.2005,
- 81 EUR für Juni 2005
- monatlich 84 EUR für die Zeit von Juli bis September 2005
- monatlich 162 EUR ab Oktober 2005,
abzgl. im Juni 2005 gezahlter 250 EUR
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung wie auch die weiter gehende Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 63 % und dem Beklagten zu 37 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die am 30.5.1986 geborene Klägerin ist die Tochter des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe mit der nicht berufstätigen und einkommenslosen Kindesmutter, in deren Haushalt die Klägerin bis zur im Oktober 2005 erfolgten Aufnahme eines Studiums lebte. Aus der Ehe ist eine weitere, am 1.2.1989 geborene Tochter hervorgegangen, die gleichfalls bei der wiederverheirateten Kindesmutter lebt.
Zwischen den Kindeseltern bestehen tiefgreifende Differenzen, die bezüglich der beiden gemeinsamen Kinder dazu geführt haben, dass die Kindesmutter dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung vom 2.3.2004 untersagen ließ, mit den Kindern über SMS in Kontakt zu treten. Die einstweilige Verfügung wurde später durch einen weitgehend inhaltsgleichen gerichtlichen Vergleich vom 20.4.2004 ersetzt.
Die Klägerin hat im Juli 2005 ihre Schulausbildung mit der erfolgreichen Ablegung der Abiturprüfung beendet und im Oktober 2005 in Bielefeld ein Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen. In der Zeit vom 12.7.-31.12.2004 hat sie Sozialhilfe bezogen. Mit ihrer Klage nimmt sie den Beklagten nach vorprozessualer Zahlungsaufforderung mit Schreiben des Jugendamtes des Kreises Borken vom 17.5.2004 sowie Faxschreiben ihrer Bevollmächtigten vom 29.6.2004 für die Zeit ab Juli 2004 nach Maßgabe eines im vorliegenden Verfahren ergangenen Senatsbeschlusses vom 3.6.2005 auf Kindesunterhalt in Anspruch. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin war zuvor (u.a.) Gegenstand einer zum Aktenzeichen 19a F 7/01 AG Bottrop erhobenen Klage, die im Termin vom 21.12.2004 zurückgenommen wurde (Bl. 81 GA).
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte verfüge unter Einbeziehung einer erhaltenen Steuererstattung über ein monatsdurchschnittliches Nettoeinkommen von 1.785,87 EUR. Sie hat gemeint, im Hinblick auf erbrachte Betreuungsleistungen ihrer Mutter sei das Kindergeld auf ihren Barunterhaltsanspruch gegen den Beklagten nur hälftig anzurechnen.
Der Beklagte hat eingewandt, sein unterhaltsrelevantes Einkommen betrage lediglich monatlich 1.703,14 EUR netto, daneben hat er sich auf eine Verwirkung bestehender Unterhaltsansprüche berufen. Er hat hierzu vorgetragen, die Klägerin habe es - offensichtlich von ihrer Mutter gesteuert - seit längerem grundlos abgelehnt, mit ihm - dem Beklagten - Kontakt aufzunehmen. Darüber hinaus habe sie ihn wegen eines angeblichen Vorfalls vom 16.4.2005 zu Unrecht der Nötigung bezichtigt und - insoweit unstreitig - am 21.5.2005 gestützt hierauf auch eine Strafanzeige gegen ihn erstattet.
Das AG hat der Klage nach Zeugenvernehmung teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin rückständigen Kindesunterhalt i.H.v. 2.109,45 EUR und ab Juni 2005 monatlich 126 EUR abzgl. im Juni 2005 gezahlter 250 EUR, zu zahlen. Es hat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass die Strafanzeige der Klägerin gegen den Beklagten bewusst wahrheitswidrig erstattet wurde, und ist daher für die Zeit ab Juni 2005 von einer hälftigen Verwirkung bestehender Unterhaltsansprüche der Klägerin ausgegangen.
Gegen dieses Urteil wenden sich Klägerin und Beklagter ...