Leitsatz
Eine volljährige Tochter nahm ihren Vater auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch. Die Tochter lebte bis zur Aufnahme des Studiums im Oktober 2005 in dem Haushalt ihrer Mutter. Aus der Ehe ihrer Eltern war eine weitere am 1.2.1989 geborene Tochter hervorgegangen, die ebenfalls bei der wiederverheirateten Kindesmutter lebte, die nicht berufstätig war und Einkommen nicht erzielte.
Zwischen den Kindeseltern bestanden tiefgreifende Differenzen, die bezüglich der beiden gemeinsamen Töchter dazu geführt hatten, dass die Kindesmutter dem Vater mit einstweiliger Verfügung untersagen ließ, mit den Kindern über SMS in Kontakt zu treten. Die einstweilige Verfügung wurde später durch einen weitgehend inhaltsgleichen gerichtlichen Vergleich vom 20.4.2004 ersetzt.
Die Klägerin hat im Juli 2005 ihre Schulausbildung mit der Ablegung der Abiturprüfung beendet und im Oktober 2005 das Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen. In der Zeit vom 12.7. bis 31.12.2004 hat sie Sozialhilfe bezogen. Mit ihrer Klage nahm sie ihren Vater auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch, der sich auf ein niedrigeres als von der Klägerin zugrunde gelegtes Einkommen berief sowie ferner auf Verwirkung des Unterhaltsanspruchs, da seine Tochter es zum einen grundlos abgelehnt habe, mit ihm Kontakt aufzunehmen und zum anderen ihn zu Unrecht der Nötigung bezichtigt und deswegen eine Strafanzeige gegen ihn erstattet habe.
Das erstinstanzliche Gericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Nach erfolgter Beweisaufnahme hat es als erwiesen angesehen, dass die Strafanzeige der Klägerin bewusst wahrheitswidrig erstattet worden war. Aufgrund dessen ging es für die Zeit ab Juni 2005 von einer hälftigen Verwirkung bestehender Unterhaltsansprüche der Klägerin aus.
Beide Parteien legten gegen dieses Urteil Berufung ein. Der Beklagte mit dem Ziel vollständiger Klageabweisung, die Klägerin mit dem Ziel erhöhten Unterhalts ab Oktober 2005 wegen ihrer auswärtigen Unterbringung.
Sachverhalt
siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG hielt die Berufung des Beklagten ebenso wie die Anschlussberufung der Klägerin für teilweise begründet.
Über den Unterhaltsanspruch dem Grunde nach bestand zwischen den Parteien kein Streit. Das OLG vertrat die Auffassung, dass die Klägerin trotz der Barunterhaltspflicht der Kindesmutter ab Eintritt der Volljährigkeit von dem Beklagten entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1607 Abs. 2 Nr. 1 BGB ihren vollen, allerdings allein nach seinem Einkommen berechneten Unterhalt fordern kann, da die Kindesmutter einkommenslos und daher leistungsunfähig sei. Auf etwaige ihrer Mutter fiktiv zuzurechnende Einkünfte müsse sich die Klägerin im Verhältnis zum Beklagten nicht verweisen lassen (OLG Brandenburg FamRZ 2004, 396; OLG Hamm, Beschl. v. 17.6.2005 - 11 WF 128/05; Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2 Rz. 440, 451; Palandt/Diederichsen, BGB? 64. Aufl., § 1607 Rz. 11 a.E.). Dem Beklagten bleibe es unbenommen, bei der Kindesmutter Regress zu nehmen.
Nach Auffassung des OLG traf die Klägerin in der Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn keine Erwerbsobliegenheit. Nach Absolvierung des tatsächlichen Schulbesuchs sei ihr eine Erholungsphase zuzubilligen gewesen. Außerdem sei ihr auch eine angemessene Orientierungs- und Vorbereitungszeit einzuräumen gewesen, um sich darüber klar zu werden, welches Ausbildungsziel sie langfristig einschlagen wolle.
Der Umstand, dass die Klägerin den Kontakt zu ihrem Vater in der Vergangenheit gemieden habe, könne eine Anspruchsverwirkung nicht begründen. Im Hinblick auf die tiefgreifenden Rechtsfolgen der Verwirkung sei deren Annahme nach anerkannter Auffassung auch bei volljährigen Kindern auf besonders schwere Ausnahmefälle zu beschränken, zu deren Feststellung eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung unter Einbeziehung der Umstände von Trennung und Scheidung der Kindeseltern zu erfolgen habe (Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, Rz. 1053; BGH v. 25.1.1995 - XII ZR 240/93, MDR 1995, 930 = FamRZ 1995, 475; KG FamRZ 2001, 1164; OLG Frankfurt v. 21.3.1995 - 1 WF 19/95, NJW-RR 1996, 708).
Die fehlende Bereitschaft der Klägerin zu einer eigenständigen Kontaktaufnahme mit ihrem Vater reiche zur Anspruchsverwirkung nicht aus.
Allerdings stelle die gegen ihn erhobene Strafanzeige eine schwere Verfehlung i.S.d. § 1611 Abs. 1 BGB dar, der für die Folgezeit zu einer Kürzung des Unterhaltsanspruchs führen müsse. Nach dem Ergebnis der vom erstinstanzlichen Gericht durchgeführten Beweisaufnahme hatte das OLG keinen Zweifel daran, dass die Klägerin eine harmlose und zudem zufällige Begegnung mit dem Beklagten bewusst wahrheitswidrig unrichtig dargestellt und ihn so verleumdet und einem unberechtigten Ermittlungsverfahren ausgesetzt hat.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2005, 11 UF 218/05