Leitsatz (amtlich)
1. Wer mit hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn fährt, muss neben einem ausreichenden Abstand die vorausfahrenden Fahrzeuge fortwährend sorgfältig und konzentriert beobachten und jederzeit reaktionsbereit sein.
2. Grob fahrlässig i.S.v. § 110 SGB VII handelt ein Autofahrer, der nachts mit gleichbleibender Geschwindigkeit von 150 bis 160 km/h auf einer Bundesautbahn fährt, mehr als eine Minute Zeit hat, einen mit einer Geschwindigkeit von nur 62 km/h vorausfahrenden Lkw wahrzunehmen und auch den sich rasch verkürzenden Abstand zu erkennen und trotzdem ungebremst auf diesen auffährt.
Verfahrensgang
LG Schwerin (Urteil vom 23.11.2007; Aktenzeichen 5 O 59/06) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Schwerin vom 23.11.2007, Az: 5 O 59/06 abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100.644,72 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 4.10.2005 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Aufwendungen zu ersetzen, soweit diese Sozialleistungen aus Anlass des Arbeitsunfalls ihres Versicherten M. S. vom 15.4.2002 erbringt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Wert der Berufung beträgt bis zu 161.000 EUR.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin erbringt als gesetzlicher Unfallversicherungsträger ihrem Versicherten ...
... Leistungen aus Anlass eines Verkehrsunfalles vom 15.4.2002. Mit ihrer Klage fordert sie Ersatz ihrer Aufwendungen für Heilbehandlungskosten, Verletztengeld, Fahrt- und Transportkosten, für Wohnungshilfe, Beiträge zur Sozialversicherung, Lohnzuschüsse zur beruflichen Wiedereingliederung, Verwaltungskosten und Verletztenrente i.H.v. insgesamt 100.644,72 EUR aus § 110 SGB VII. Zudem verlangt sie die Feststellung der weiteren Eintrittspflicht des Beklagten.
Der beklagte Versicherungsverein war Haftpflichtversicherer für einen Kleintransporter der Marke Daimler Benz, Typ Sprinter, mit dem amtl. Kennzeichen OE-DU .... Halterin dieses Fahrzeugs war die Firma ... aus K. Am 15.4.2002 fuhren die bei der Firma ... tätigen ... und ... im Auftrag ihrer Arbeitgeberin mit dem Kleintransporter zu Montagearbeiten auf die Insel Rügen. Sie hatten die Fahrt gegen 2.00 Uhr nachts im sauerländischen K. angetreten. Zunächst fuhr ...; gegen 5.00 Uhr erfolgte ein Fahrerwechsel im Raum Hamburg. Von da an bis zum Erreichen der Unfallstelle bei Kilometer 46,5 der BAB 20 aus Richtung Lübeck kommend in Richtung Rostock steuerte ... das Fahrzeug. Er fuhr die BAB auf dem rechten Fahrstreifen mit einer konstanten Geschwindigkeit von ca. 150 bis 160 km/h ...
... saß angeschnallt auf dem Beifahrersitz und schlief. Auf einer Strecke von etwa 7 km vor dem späteren Unfall kam der von ... geführte Kleintransporter mindestens zwei mal nach rechts im Sinne eines allmählichen Abdriftens von der Fahrbahn auf den Standstreifen ab und kehrte dann jeweils ruckartig auf den rechten Fahrstreifen zurück, was der hinter dem Kleintransposter mit einem VW Bulli fahrende Zeuge ... beobachtet hatte. Vor dem Kleintransporter fuhr ein Lkw der Firma ... mit einer konstanten Geschwindigkeit von 62 km/h ebenfalls auf der rechten Fahrspur. Der Zeuge ... näherte sich dem Lkw mit unverminderter Geschwindigkeit und fuhr auf diesen in Höhe des Kilometers 46,5 ungebremst auf.
Durch den Unfall erlitt der Versicherte ... folgende Verletzungen: Schädelhirntrauma, temporale Kalottenmehrfragmentfraktur rechts mit zentraler Impression, temporo-polare Kalottenfraktur links mit Epiduralhämatom, multiple Mittelgesichtsfrakturen, Nasenbein-mehrfragmentfraktur, erstgradig offene Ellenbogenluxationsfraktur rechts, offene Grundgliedfraktur des rechten Kleinfingers, eingestauchte körpernahe Femurschaftfraktur rechts, isolierte proximale Figulafraktur rechts. Seine Erstversorgung erfolgte bis zum 15.5.2002 im Universitätsklinikum Lübeck. Im Anschluss hieran wurde die weitere stationäre Versorgung bis zum 4.7.2002 in der Neurologischen Fachklinik Kirchenbach durchgeführt. Der Versicherte war bis zum 5.5.2003 arbeitsunfähig. Als Verletzungsfolgen verblieben zentral-vegetative Störungen in Form von Kopfschmerzen sowie Störungen des verbalen Gedächtnisses, am rechten Arm: Bewegungseinschränkung des Ellenbogengelenkes, Herabsetzung der groben Kraft des Armes und der Hand, Muskelminderung im Bereich des Ober- und Unterarmes, Taubheitsgefühl im Bereich des Ring- und kleinen Fingers sowie noch liegende Metallteile und am rechten Bein: Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes mit Außenrotationsfehlstellung, Beckenschiefstand nach Beinlängenverkürzung um 2 cm nach Oberschenkelschaftbruch, Muskelminderung im Bereich des...