Wir werden die Personalprozesse digitalisieren. In manchen Unternehmen geht das schneller, in anderen dauert es etwas länger. Aber die Digitalisierung ist gesetzt. Machen wir uns also Gedanken darüber, wie wir dabei gute digitale Personalprozesse erreichen.
5.4.1 Software für standardisierte Prozesse
Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass Unternehmen sich bei der Digitalisierung ihrer Prozesse nicht von den Experten der Software leiten lassen sollten. Software-Hersteller müssen Prozesse standardisieren, um für möglichst viele Unternehmen eine einheitliche Software bereitzuhalten. Ob diese aus der Perspektive der Softwareentwicklung standardisierten Prozesse auch für die Praxis im eigenen Unternehmen sinnvoll sind, kann keiner wissen. Erfahrungsgemäß ist das eher selten der Fall. Wenn IT-Verantwortliche also fordern, möglichst Standardsysteme einzusetzen und dabei wenig oder gar nichts anzupassen, dann macht das aus der Sicht des IT-Service absolut Sinn, aber Marktvorteile für mehr Kunden (Mitarbeiter-)orientierung lassen sich damit nicht gewinnen.
Das könnte HR-Verantwortliche dazu verleiten, für die Prozesse ein Wunschkonzert anzusetzen und alle Beteiligten sammeln zu lassen, wie sie sich die digitale Zukunft vorstellen. Dieses Potpourri von Funktionen und Prozessen lässt sich natürlich in keinem Out-of-the-Box-System umsetzen. Also braucht das Unternehmen Individualanpassungen oder gar eine regelrechte Individualsoftware. Da wird allerdings kein IT-Manager mitgehen. Individualsoftware oder angepasste Standardlösungen lassen sich nicht wirtschaftlich betreiben.
Wir stecken also in einem Dilemma: Entweder ordnen wir uns den Standardprozessen der IT-Lieferanten unter oder wir müssen den teuren Weg der Software-Individualisierung gehen. Einen Ausweg könnte das Konzept der prozessgesteuerten Digitalisierung bieten. Hier verwenden wir ausschließlich Standardsysteme in der IT, können aber unsere Prozesse frei gestalten.
5.4.2 Prozess-Standards als Weg aus dem Dilemma
Der Schlüssel dazu ist der weltweit verbreitete Standard zur Prozessmodellierung BPMN (Business Process Model & Notation). Wenn wir unsere Prozesse nach diesem Standard modellieren, dann können wir damit jedes logisch denkbare Ablaufszenario eindeutig abbilden. Für Ausnahmen bietet uns der Standard Bausteine zum kontrollierten "Ausbrechen" aus dem vorgegebenen Ablauf.
Wir standardisieren also nicht die individuellen Prozesse, sondern die Art, wie wir unsere Prozesse modellieren.
Auf diesem eindeutigen Standard bauen BPMN-Workflow-Engines auf. Das sind Standardsysteme, die nichts anderes tun, als Aufgaben und Informationen genau nach dem BPMN-Prozessmodell von einem Bearbeiter zum nächsten weiterzuleiten. "Bearbeiter" können hier sowohl Menschen sein als auch IT-Anwendungen in automatischen Aktivitäten.
5.4.3 Datenintegration über alle Systeme
Schnittstellen bremsen jedes IT-Projekt. Es wäre sehr aufwändig, wenn diese BPMN-Engine mit vielen Schnittstellen auf die unterschiedlichen Anwendungen zugreifen muss, in denen wir die Personal- und Unternehmensdaten führen (Talent Management, Personalstammdaten, Zeiterfassung, Lohnsystem, Finanzsystem, Organisationsverzeichnis, Dokumentenarchiv, E-Mail etc.). Darum sieht das Konzept der prozessgesteuerten Digitalisierung ein weiteres Standardelement vor: die Datenintegration.
Software zur Datenintegration bietet Daten aus unterschiedlichen Anwendungen in einer Präsentationsebene zur Verarbeitung an. Und sie nimmt Aufträge für Buchungen in den Anwendungen entgegen. Die Koordination, welche Information in welchem Format in welcher Anwendung liegt, muss also nicht vom Prozess erledigt werden. Dafür gibt es Standardsysteme.
Welche Anwendungen hinter dieser Integrationsschicht laufen, ist für die prozessgesteuerte Digitalisierung egal. Selbst wenn unsere IT entscheidet, eine dieser Anwendungen auszutauschen (zum Beispiel ein neues ERP-System oder ein neues Lohn/Gehaltssystem) einzuführen, bleiben die Prozesse davon unberührt.
5.4.4 Umdenken in IT und HR
Eine prozessgesteuerte Digitalisierung erfordert ein grundlegendes Umdenken: Nicht mehr die IT-Systeme geben den Prozess vor, sondern der Prozess stellt Serviceanfragen an die Integrationssoftware, und diese kommuniziert mit den Anwendungen. Die Benutzer werden im täglichen Doing nur noch die Oberfläche der Prozess-Engine sehen. Nur wenige Personen werden in den Unternehmensanwendungen die Vorgänge bearbeiten, für die (noch) kein Prozess modelliert und umgesetzt ist.
Das bedeutet auch, dass wir die Bedieneroberfläche so gestalten, dass sie intuitiv in der gegebenen Arbeitssituation Sinn ergeben. Niemand muss mehr umfangreiche Trainings in der Bedienung von kryptischen Transaktionen des ERP-Systems absolvieren.
Wenn das HR-Management eine prozessgesteuerte Digitalisierung in der IT fordert, dann führt das auch zu einer neuen Zusammenarbeit zwischen IT und Fachabteilung (hier HR): Die IT bekommt die Aufgabe, Standardsysteme zu betreiben. Verwalten von Individualanpassungen (die Hölle der IT) ist Vergangenheit. Stattdessen braucht der IT-Service die Kompetenz für die Datenintegration und für den Betrieb und den Support einer BPMN-Engine.
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