Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Umgangssprachlich wird im Allgemeinen der Begriff "psychische Belastung" verwendet, wenn jemand Stress erlebt. Was unter einer psychischen Belastung verstanden wird, wird sich je nach Sichtweise sehr unterscheiden. Eine Führungskraft und ein Mitarbeiter können durchaus verschiedene Vorstellungen davon haben.
Neben diesen subjektiven Einschätzungen gibt es auch fachliche Konzepte, die versuchen, das Wesen psychischer Belastungen zu beschreiben. In den Arbeitswissenschaften allgemein anerkannt ist die DIN-Norm DIN EN ISO 10075-1. Die Norm unterscheidet zwischen den Begriffen der "Belastung" und der "Beanspruchung".
Der Begriff psychische Belastungen wird allgemein nach der DIN EN ISO 10075-1 definiert. Psychische Belastungen werden verstanden als "die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken." Nach dieser Definition entstehen psychische Belastungen durch objektiv erfassbare Belastungsfaktoren. 4 Gruppen von Anforderungen können zu Belastungen führen:
- Arbeitsaufgabe, z. B. deren Dauer und zeitlicher Verlauf;
- physikalische Arbeitsbedingungen, z. B. Beleuchtung, Klima, Lärm;
- sozialer Kontext und Organisationsbedingungen, z. B. Betriebsklima, Zusammenarbeit, Konflikte;
- gesellschaftliche Belastungen, z. B. die wirtschaftliche Lage.
Diese Belastungen können auf den Menschen einwirken und bei ihm zu einer psychischen Beanspruchung führen. Eine psychische Beanspruchung ist "die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden oder augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien" (DIN EN ISO 10075-1).
Belastung – Beanspruchung
Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept ist etwas einfacher zu verstehen, wenn man es auf den körperlichen Bereich überträgt. Hier könnte die Belastung z. B. aus einem Gewicht von 15 kg bestehen, das gehoben werden soll. Einen trainierten Body-Builder wird das sicherlich überhaupt nicht beanspruchen. Ein achtjähriges Kind wäre dagegen sehr stark beansprucht.
Entgegen dem umgangssprachlichen Verständnis ist die psychische Belastung laut DIN EN ISO 10075-1 erst einmal neutral zu verstehen. Erst die entstehende Beanspruchung bei einer Person macht dann aus, ob diese Belastung sich positiv oder negativ auswirkt.
Die Beanspruchung ist also erst die Folge einer Belastung und deren mehr oder minder gelungener Verarbeitung. So kann die gleiche Belastung bei verschiedenen Personen zu einer unterschiedlichen Beanspruchung führen. Je nachdem, um welche Belastung es sich handelt und wie gut diese subjektiv bewältigt wird, kann es zu kurz- oder langfristigen und negativen, aber auch positiven Beanspruchungsfolgen kommen.
Pflichten des Arbeitgebers nach Arbeitsschutzgesetz
Laut § 5 Arbeitsschutzgesetz sind Arbeitgeber verpflichtet, nach möglichen psychischen und physischen Belastungen bei der Arbeitstätigkeit zu suchen. Sie dürfen dabei nicht abwarten, ob sich negative Beanspruchungen einstellen. Mögliche Gefährdungen für die psychische Gesundheit sollen vermieden oder ausgeglichen werden, bevor gesundheitliche Schäden bei Beschäftigten entstehen.
Demnach kann psychische Belastung sowohl positive, als auch negative Folgen für den Menschen haben. Positiv wirkt sie dann, wenn der Mensch die Belastungen von außen mit seinen individuellen Möglichkeiten zur Bewältigung ins Gleichgewicht bringen kann. So könnte eine Mitarbeiterin Stolz und Freude verspüren, nachdem sie eine schwierige Aufgabe erfolgreich gelöst hat. Eine negative Wirkung ergibt sich, wenn das Gleichgewicht nicht besteht, z. B. bei einer Über- oder auch Unterforderung. Das Zusammenwirken von Belastung und Beanspruchung beeinflusst die Gesundheit und das Wohlbefinden des Mitarbeiters sowie seine Arbeitsleistung (Abb. 1).
Abb. 1: Arbeitsbelastungen und Beanspruchungsfolgen