Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Wie stets im Arbeitsschutz muss der Arbeitgeber in einer Gefährdungsbeurteilung klären, ob bestimmte Umstände zu einer Gefährdung der Beschäftigten führen und ob bzw. welche Maßnahmen deswegen zu ergreifen sind. Das gilt grundsätzlich auch, wenn Bedenken wegen der Fastenpraxis muslimischer Beschäftigter bestehen.
Grundlegende Vorschriften im Arbeitsschutz wie die Arbeitsstättenverordnung und ihre Regeln sowie das Arbeitszeitgesetz stellen sicher, dass Beschäftigte sich während eines Arbeitstages oder einer Schicht ausreichend mit Nahrung und Getränken versorgen können. Das und die Kenntnis vieler physiologischer Abläufe können schnell zu der Einschätzung führen, dass der Verzicht auf Nahrung und Getränke über viele Stunden den Organismus erheblich belastet und die Gesundheit und (durch eine so verminderte Leistungsfähigkeit) die Sicherheit bei der Arbeit gefährden könnte.
Eine solche pauschale Gefährdungsbeurteilung ist jedoch aus ähnlichen Gründen wie bei möglichen arbeitsrechtlichen Bedenken kaum haltbar und nicht sinnvoll. Zu unterschiedlich sind die Fastenbedingungen, die abhängig sind z. B. von der Länge der Tage im jeweiligen Zeitraum und von der Tagestemperatur. Unterschiedlich wirken sich zudem die Verfassung und Einstellung des Fastenden sowie natürlich die Anforderungen, die seine individuelle Tätigkeit an ihn stellt, aus.
Zwar werden Studienergebnisse aus der Türkei diskutiert, nach denen die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr in der Zeit des Ramadan erhöht ist, was die Erwartung unterstreichen würde, dass z. B. die koordinativen Leistungen oder die Konzentration herabgesetzt wird. Neben den Auswirkungen des täglichen Fastens könnte in diesem Zusammenhang eine größere Rolle spielen, dass die Nachtruhe zum Teil erheblich reduziert bzw. ein anderer Schlafrhythmus angenommen wird. Das gilt v. a. dann, wenn – wie in Mitteleuropa im Sommer der Fall – die Nächte so kurz sind, dass nach dem Beisammensein beim gemeinschaftlichen Fastenbrechen und vor einer kurzen Frühmahlzeit vor Sonnenaufgang nur sehr wenig Zeit zum Schlafen bleibt und der Erholungsschlaf aufgeteilt werden muss.
Doch selbst wenn solche statistischen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit dem Ramadan erkennbar sind, kann dadurch nicht pauschal eine relevante Gefährdung im Einzelfall angenommen werden. Denn erstens sind die individuellen Wirkungen des Fastens und der ggf. geänderten Schlafgewohnheiten sehr unterschiedlich (s. o. Kap. 2) und wie konkret ihre Auswirkungen auf die Sicherheit am Arbeitsplatz wären, bleibt ebenfalls fraglich. In den allermeisten Fällen werden sich daher kaum relevante Gefährdungen identifizieren lassen.
Gefährdung durch Folgen des Fastens
Wer am Schreibtisch sitzt, Waren konfektioniert, Fliesen legt oder Kunden berät wird durch die Auswirkungen eines auch mehrstündigen Fastens kein höheres arbeitsbedingtes Risiko eingehen als sonst. Das könnte aber z. B. der Fall sein, wenn Beschäftigte stundenlang evtl. unter besonderer Schutzkleidung bei erheblicher Wärme arbeiten müssen. Neben Arbeiten im Freien (z. B. Straßenbau, Gleisbau, Garten- und Landschaftsbau) und in wärmeemittierenden Anlagen (z. B. Metallverarbeitung, Lebensmittelverarbeitung), kann das z. B. auch bestimmte Tätigkeiten in medizinischen Funktionsbereichen (OP, invasive Untersuchungen) betreffen.
Es ist davon auszugehen, dass entsprechende Beeinträchtigungen regelmäßig auch dann und vielleicht noch gravierender auftreten, wenn Beschäftigte z. B. eine akute Erkältung haben, aus privaten Gründen nur unzureichend geschlafen haben oder eine Radikaldiät durchführen. In keinem dieser Fälle wird es normalerweise zu einer Gefährdungsbeurteilung kommen und erst recht wird kaum in Frage gestellt werden, dass die Betroffenen ihrer Arbeit trotz gewisser Einschränkungen weiter nachgehen. Deshalb liegt es nahe, dass, v. a. wenn eine Gefährdungsbeurteilung zur Leistungsminderung durch Fasten im Ramadan für den Arbeitnehmer negative Folgen hätte (z. B. Verlust von Schicht- oder Erschwerniszulagen), von Arbeitnehmerseite ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermutet würde – möglicherweise zu Recht.
Gefährdungsbeurteilungen sorgfältig erstellen
Dass aufgrund einer Gefährdungsbeurteilung ein fastender Mitarbeiter eine bestimmte Tätigkeit nicht ausüben kann, wird auf wenige, sorgfältig begründete Einzelfälle beschränkt bleiben (s. o.). Wenn es nötig ist, eine solche Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, sollten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite sowie der Betriebsarzt daran beteiligt sein. In diesen extremen Fällen dürfte auch das Interesse der fastenden Arbeitnehmer ohnehin dahin gehen, eine für beide Seiten tragbare Lösung zu finden, z. B. durch einen Arbeitsplatzwechsel, durch entsprechende Urlaubs- oder Freizeitausgleichsplanung und/oder veränderte Arbeitszeiten.
Auch wenn es im betrieblichen Alltag also in den allermeisten Fällen nicht darum gehen wird, auf dem Wege einer Gefährdungsbeurteilung bestimmte Risiken durch Fasten im Ramada...