Untersuchungen zur Prognosegüte von eignungsdiagnostischen Verfahren belegen immer wieder die hohe Qualität strukturierter Interviews. Der Begriff "strukturiert" grenzt Interviews von frei geführten Gesprächen mit Bewerbern ab. Strukturierte Interviews folgen einem Interviewleitfaden, bei jedem Bewerber werden die gleichen Themen angesprochen. "Strukturiert" muss nicht heißen, dass die Interviewer ihre Fragen vom Blatt ablesen und unabhängig von den Antworten der Bewerber die nächste Frage abspulen.
Ein Interview sollte nach Möglichkeit von zwei Personen geführt werden. Eine Person führt das Gespräch, die andere konzentriert sich auf die Beobachtung dessen, was (und wie) der Bewerber antwortet. Die Rollen dürfen innerhalb eines Interviews gerne wechseln – das fördert die Gesprächsatmosphäre.
Durch geschickte Gesprächsführung ist es möglich, das Verhalten von Bewerbern in relevanten beruflichen Situationen vermittelt zu "beobachten". Dazu kann im Interview gefragt werden, ob der Bewerber sich an eine Situation in seinem Berufsleben erinnert, die für die zu besetzende Stelle und den beruflichen Kontext von Bedeutung ist. Zum Beispiel kann ein Kundenberater danach gefragt werden, ob er sich an eine aus seiner Sicht ungerechtfertigte Reklamation eines Kunden erinnert. Das wäre eine relevante Situation für Kundenberater, denn sie erfordert Konfliktfähigkeit und kundenorientierte Gesprächsführung.
Wenn der Interviewleitfaden für ein solches Gespräch entwickelt wird, ist gezielt nach möglichen relevanten Situationen zu suchen, die in der Berufserfahrung der Bewerber erwartet werden. Die Situationen sollen möglichst den "Critical Incidents" entsprechen, die in der Anforderungsanalyse gesammelt wurden. Sie sollen zudem die Option bieten, sich unterschiedlich zu verhalten. Es soll also sowohl möglich sein, sich "erfolgreich" zu verhalten, als auch anders zu agieren. Da nicht erwartet werden kann, dass alle Bewerber die gleichen Situationen erlebt haben, sollte der Interviewleitfaden mehrere unterschiedliche Situationen bereithalten. Im Interview werden dann, je nachdem, ob sie zutreffen oder nicht, die verschiedenen Varianten durchgegangen. Die Lektüre des Lebenslaufs und der Arbeitszeugnisse gibt ebenfalls einen Hinweis darauf, welche Arbeitssituationen für den jeweiligen Bewerber gut passen könnten.
Im Gespräch wird der Bewerber in seine Erinnerung geführt. Eine Fragemöglichkeit ist: "Wenn wir in dieser Situation am Rand gestanden hätten – was hätten wir da gesehen?" Man kann auch zirkulär fragen: "Was meinen Sie, hat die andere Person später ihrem Chef (seiner Frau, ihrem Mann etc.) von dieser Begegnung erzählt?" Das Ziel dieser Fragen ist, den Gesprächspartner in eine Außenperspektive auf seine eigene Erinnerung zu führen.
Ob das geschilderte eigene Verhalten auf Erinnerung basiert oder in diesem Moment eine Erinnerung konstruiert wird, kann anhand der Wortwahl beobachtet werden. Spricht die Person in der Ich-Form, kann von einer Erinnerung ausgegangen werden, weicht sie dagegen auf neutrale Formen wie "man" aus, dann wird eher ein gewünschtes Verhalten im Nachhinein konstruiert. In diesem Fall gilt es, in der Gesprächsführung noch etwas nachzusteuern.
Einige berufliche Situationen können für diese Technik generell verwendet werden, unabhängig von der ausgeschriebenen Stelle. So kann man sich z. B. die Entscheidungsfindung zur Bewerbung schildern lassen (nicht: "Warum haben Sie sich beworben?", sondern "Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gekommen?"). Alternativ kann man sich aber auch den letzten Arbeitstag schildern lassen.
In der Beobachtung dessen, was der Bewerber aus seinen Erinnerungen schildert, kann das beschriebene Verhalten mit den Verhaltensankern verglichen werden, die in der Anforderungsanalyse als "erfolgreich" oder "weniger erfolgreich" gesammelt wurden. Auf einer vorbereiteten Skala kann bewertet werden, inwieweit der Bewerber dem gewünschten Verhalten entspricht. Sind mehrere Beobachter anwesend, können die gesammelten Bewertungen auf Konsistenz überprüft werden.
Eine weitere bewährte Fragemethode ist die Projektion auf die zukünftige Arbeit in der ausstehenden Stelle. "Wie stellen Sie sich einen normalen Arbeitstag in der neuen Position vor?"
Diese Projektion verrät, wie weit sich der Bewerber die angestrebte Tätigkeit zum Ziel gemacht hat. Schildert er lebendige Vorstellungen davon, wie sein Leben in der neuen Stelle sein wird, ist das ein Zeichen, dass dieses Ziel ihn innerlich motiviert. Dies ist ein Indiz dafür, ob diese Vorstellungen realistisch sind oder eher fantasiert. Es ist aber unerheblich, ob die tatsächliche Arbeit wirklich so aussieht, wie der Bewerber sie sich ausmalt. Interessant ist hier v.a. die Hin-zu-Motivation.
Diese Schilderung kann ergänzt werden mit der Frage, was an dieser Aussicht den Bewerber am meisten reizt, oder was er von seiner bisherigen Tätigkeit vermissen würde.
Der wichtigste Grundsatz bei der Interviewführung ist es, offene Fragen zu stellen. Suggestivfragen, also solch...