Wie Kanning (2018) in seinem Standardwerk der Personaldiagnostik zusammenfasst, lässt sich im Allgemeinen zwischen strukturierten und unstrukturierten Einstellungsinterviews unterscheiden. Strukturierte Interviews zeichnen sich durch ihre Standardisierung und Systematisierung hinsichtlich des Inhaltes, der Durchführung und der Auswertung aus. Entsprechend werden hier jedem Bewerbenden die gleichen Fragen gestellt, die vor dem Interview auf Basis einer Anforderungsanalyse formuliert wurden. Die Beurteilung findet anschließend separat für jede Frage anhand eines vorab einheitlich definierten Bewertungsschlüssels statt (beispielsweise verhaltensverankerte Bewertungsskalen).
Strukturierte Interviews sind deutlich aussagekräftiger als unstrukturierte Interviews
Durch die Verwendung eines Interviewleitfadens und einheitlicher Bewertungskriterien ermöglichen strukturierte Interviews es somit, über verschiedene Bewerbende hinweg vergleichbare Gespräche zu führen. Unstrukturierte Interviews hingegen lassen der beziehungsweise dem Interviewenden vollkommene Freiheit bezüglich formalem Ablauf, Fragen und Bewertungskriterien. Folglich gleichen unstrukturierte Interviews eher einem Gespräch und eine objektive Vergleichbarkeit der Bewerbenden ist schwer möglich. Entsprechend sind sie besonders anfällig für Wahrnehmungsfehler und Selbstdarstellungstaktiken der Bewerbenden.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass strukturierte Interviews hinsichtlich der Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität im Vergleich zu ihrem unstrukturierten Gegenstück die deutlich aussagekräftigere Alternative darstellen. Strukturierte Interviews ermöglichen eine gute Vorhersage der beruflichen Leistung und zählen neben der Arbeitsprobe und kognitiven Leistungstests zu den validesten Personalauswahlmethoden. Zudem empfiehlt es sich zur Steigerung der Reliabilität und Validität mehrere Interviewende einzusetzen, die die Interviewten unabhängig voneinander beurteilen.
Video-Interviews: Klare Vorteile gegenüber Face-to-Face Vorstellungsgesprächen
Im Zuge der Digitalisierung hat die Verbreitung technologie-mediierter Interviewformate stark zugenommen. Dabei sind insbesondere synchrone Formate beliebt, bei denen die Interaktion zeitgleich über ein technisches Medium erfolgt (beispielsweise Telefon- oder Videokonferenzinterview). Asynchrone Interviewvarianten hingegen kommen bislang eher seltener zum Einsatz.
Bei zeitversetzten Video-Interviews werden Bewerbenden Fragen über eine Internetplattform gestellt. Kandidatinnen und Kandidaten haben dann die Möglichkeit, die Fragen selbstständig zu einem beliebigen Zeitpunkt zu beantworten, wobei sie ihre Antworten per Video aufzeichnen und an das Unternehmen weiterleiten. Die Vorteile technologie-mediierter Interviews gegenüber ihrem traditionellen Pendant liegen auf der Hand: Reduktion von Zeitaufwand und Kosten für Organisation und Anreise, erhöhte Flexibilität, Erweiterung des Bewerbendenpools um Bewerbendengruppen, die sonst nur schwer erreichbar wären und – zumindest für asynchrone Interviews – eine hohe Standardisierung.
Interviewformate: Vergleichbarkeit muss gewährleistet sein
Eingeschränkt ist jedoch die Vergleichbarkeit der Interviewleistung zwischen verschieden Interviewvarianten. So schneiden Bewerbende in Telefon- und Videokonferenz-Interviews allgemein schlechter ab als in Face-to-Face Vorstellungsgesprächen, wie Blacksmith und Kollegen (2016) zeigen. Dahingegen kann die Vorbereitungszeit in asynchronen Interviews im Vergleich zu synchronen Interviewformaten zu einem besseren Abschneiden verhelfen, wie Basch und Kollegen (2021) feststellen.
Insgesamt lässt sich also festhalten, dass strukturierte technologie-mediierte Interviews eine ökonomische, flexible und valide Alternative zum traditionellen Vorstellungsgespräch darstellen können. Um jedoch eine Vergleichbarkeit zwischen Interviewten herstellen zu können, wird empfohlen, für alle Bewerbenden dasselbe Interviewformat zu nutzen.
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Datenschutz: Was bei Videointerviews zu beachten ist (Personalmagazin digital)
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Referenzen:
Basch, J. M., Brenner, F., Melchers, K. G., Krumm, S., Dräger, L., Herzer, H., & Schuwerk, E. (2021). A good thing takes time: The role of preparation time in asynchronous video interviews. International Journal of Selection and Assessment, 29, 378–392. https://doi.org/10.1111/ijsa.12341
Blacksmith, N., Wilford, J. C., & Behrend, T. S. (2016). Technology in the employment interview: A meta-analysis and future research agenda. Personnel Assessment and Decisions, 2(1), 12–20. https://doi.org/10.25035/pad.2016.002
Kanning, U. P. (2018). Standards der Personaldiagnostik. Hogrefe