Entscheidungsstichwort (Thema)
Wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts durch Foto- oder Filmaufnahmen. Gravierender Verstoß gegen eine Nebentätigkeitsgenehmigung. Entbehrlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch der verhaltensbedingten fristlosen Kündigung. Schutz des Persönlichkeitsrechts für juristische Personen
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann eine wichtigen Grund darstellen.
2. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags auch ohne gesonderte Vereinbarung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Bei der Konkretisierung der Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht sind die grundrechtlichen Rahmenbedingungen hinreichend zu beachten.
3. Das Fertigen von Aufnahmen gegen den Willen der juristischen Person in der ihrem Hausrecht unterliegenden, nicht frei zugänglichen räumlichen Sphäre stellt einen Eingriff in das Hausrecht und auch einen Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht dar. Grundsätzlich muss es im Rahmen dieser Sphäre niemand hinnehmen, dass gegen seinen Willen Aufnahmen gefertigt werden.
4. Liegt eine Genehmigung für die Nebentätigkeit "Promotion, Modeln (Blogger)" vor, ist dies keine Nebentätigkeitserlaubnis zum Betrieb verschiedener Social-Media-Kanäle, Internetseiten und Internet-Auftritte in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit als Flugzeugkapitän. Eine ausdrückliche Genehmigung, den fliegerischen Teil seiner Arbeit auf privaten Social-Media-Kanälen zu veröffentlichen, hatte der Arbeitgeber nicht erteilt.
5. Es bedarf auch in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keiner Abmahnung, wenn eine Verhaltensänderung trotz Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten ist und es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen und dies für den Arbeitnehmer auch erkennbar ist.
6. Eine Ausdehnung der Schutzwirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen ist insoweit gerechtfertigt, als diese zur Ausübung ihrer Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsbereich als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen betroffen werden.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 1004; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1; EMRK Art. 8 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3; BGB § 241 Abs. 2; TV Bordvertretung § 64; MTV-EAT § 8; MTV-EAT § 9; MTV-EAT § 10
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 18.09.2020; Aktenzeichen 12 Ca 2722/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 18.09.2020 – 12 Ca 2722/19 – abgeändert:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger hat es bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 € für jede schuldhafte Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, Fotos und/oder Videos zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich wiederzugegeben, die das Cockpit von Flugzeugen der Beklagten oder Teile davon zeigen, soweit hierfür keine Zustimmung der Beklagten vorliegt.
3. Der Kläger hat es bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 € für jede schuldhafte Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, Fotos und/oder Videos zu kommerziellen Zwecken zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich wiederzugeben, die ihn in Dienstkleidung der Beklagten zeigen, soweit hierfür keine Zustimmung der Beklagten vorliegt.
4. Der Kläger hat es bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 € für jede schuldhafte Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, die dem Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit, insbesondere als Kapitän und/oder Co- Pilot für die Beklagte überlassenen Betriebs – und Frachtunterlagen, die der ordnungsgemäßen Durchführung und Dokumentation der von der Beklagten durchgeführten Frachtflüge dienen, insbesondere Treibstoffkalkulationen, Flugdurchführungspläne, Lade – und Frachtpapiere, Sicherheitsmaßnahmen der Beklagten und/oder Ausbildungspläne, zu verbreiten und/oder öffentlich wider zu geben, insbesondere nicht Fotos und/oder Videos, welche die vorgenannten Unterlagen und Dokumente zeigen, und/oder die in den vor genannten Unterlagen und Dokumenten enthaltenen Informationen wiederzugeben.
5. Der Kläger hat sämtliche Fotos und Videos, die
a) folgende Inhalte zeigen:
das Cockpit von Flugzeugen der Beklag...