Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Betriebsübergang durch eine Wet-Lease-Vereinbarung im Bereich der Luftfahrt. Keine Arbeitnehmerüberlassung durch einen Wet-Lease-Vertrag. Kein Gestaltungsmissbrauch durch eine Wet-Lease-Vereinbarung. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 4 Sa 106/21 v. 11.08.2021
Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung einer Wet-Lease-Vereinbarung in der Form des sog. ACMIO-Vertrags im Bereich der Luftfahrt von verbotener Arbeitnehmerüberlassung (teilweise Parallelentscheidung zu 4 Sa 106/21)
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Wet-Lease-Vereinbarung, mit der ein Flugplan von einem anderen Luftverkehrsunternehmen übernommen und weitergeführt wird, stellt nur eine Fortführung des bisherigen Geschäfts als Dienstleistung durch einen neuen Geschäftskunden dar, nicht aber einen Betriebsübergang. Insbesondere fehlt es beim Wet-Lease an einem Übergang einer bestehenden wirtschaftlichen Einheit mit eigener Identität und zusammengefassten Ressourcen zur Verfolgung einer Haupt- oder Nebentätigkeit.
2. Eine Wet-Lease-Vereinbarung ist ein gemischter Vertrag, bei dem die Gebrauchsüberlassung des Fluggeräts im Vordergrund steht. Geschuldet wird die Erbringung von Flugdienstleistungen, ohne dass es dabei zu einer Eingliederung des Bedienpersonals in den Betrieb des Wet-Lease-Dienstleisters kommt.
3. Wet-Lease ist ein Form der unternehmerischen Zusammenarbeit. Es ist zulässig, sich zur Erfüllung vertraglicher Aufgaben eines Dienstleisters zu bedienen. Es ist kein Gestaltungsmissbrauch, wenn Teilbereiche des Flugverkehrs durch die europarechtlich zulässige Form des Wet-Lease hinzugekauft werden.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 S. 1; AÜG § 10 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Sätze 1-2; RL 104/2008/EG Art. 5 Abs. 5; RL 96/71/EG Art. 1 Abs. 3 Buchst. c); GRCh Art. 16; ZPO § 138; BGB § 134; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, § 17
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.12.2021; Aktenzeichen 5 Ca 4682/20) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.10.2020; Aktenzeichen 5 Ca 4682/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.12.2021 - 5 Ca 4682/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger und der Beklagte zu 1) streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund betriebsbedingter Kündigung. Mit der Beklagten zu 2) streitet der Kläger darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.
Der Beklagte zu 1) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Luftfahrtgesellschaft X. mbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte zu 2) ist eine Low-Cost-Airline der M. Group mit einer Flotte von aktuell 139 Flugzeugen. Ihr Sitz ist M. und sie beschäftigt ca. 9.000 Mitarbeiter.
Der am 03.02.1980 geborene Kläger war seit dem 01.12.2015 bei der Schuldnerin beschäftigt, zuletzt als Copilot mit Stationierung am Flughafen M. zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von - nach Angaben der Beklagten zu 1) - EUR 6.299,41 beschäftigt.
Die Schuldnerin ist eine deutsche Fluggesellschaft, die im Jahr 1980 von Herrn C. X. gegründet wurde, der zugleich Inhaber des einzigen Geschäftsanteils an der Schuldnerin war. Die Geschäftsführung der Schuldnerin war in M. ansässig. Dies galt auch für die Personalabteilung, die bundesweit für die Arbeitnehmer der Schuldnerin zuständig war. Bodenmitarbeiter waren in M. und L. tätig. Das fliegende Personal nahm die Arbeit von den Flughäfen in Düsseldorf, Berlin-Tegel, Stuttgart und Nürnberg auf. Über eigene Räumlichkeiten für das fliegende Personal verfügte die Schuldnerin an diesen Flughäfen nicht. Die Schuldnerin war bis zuletzt dergestalt tätig, dass sie nicht eigenständig am Markt als Anbieterin von Flugreisen gegenüber Endkunden auftrat, sondern Flugzeuge im Rahmen eines sog. Dry-Lease von Dritten leaste und diese Flugzeuge mit eigenen Arbeitnehmern im Rahmen eines sog. Wet-Lease an andere Fluggesellschaften verleaste, damit diese die Flugzeuge zusammen mit den Arbeitnehmern der Schuldnerin zur Durchführung von (Linien-) Passagierflügen einsetzen konnten. Hierzu wurden auf Basis von sogenannten ACMIO-Verträgen (ACMIO = Aircraft, Crew, Maintenance, Insurance, Operation) die Flugzeuge der Schuldnerin nebst Personal zu festen Sätzen auf Zeitbasis (in der Regel sogenannte Blockstunden) geleast. Die Schuldnerin beschäftigte zuletzt insgesamt ca. 348 Arbeitnehmer, die in den Bereichen Boden, Kabine und Cockpit tätig waren. Für das Boden- und Kabinenpersonal waren keine Arbeitnehmervertretungen gebildet. Für die Arbeitnehmer des Bereichs Cockpit war gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG durch den Tarifvertrag Personalvertretung Nr. 1 vom 05./10.02.2014 (im Folgenden: TV PV) die Personalvertretung Cockpit errichtet worden.
Anfang 2017 wurde der einzige Geschäftsanteil an der Schuldnerin von der Air L. PLC & Co. Luftfahrtgesellschaft (im Folgenden: Air L.) übernommen. In der Folgezeit leaste die Schuldnerin jedenfalls 15 Dash 8 Q400 Maschinen im Wege des Dry-Lease, sei es von Air L., sei es von der D...