Entscheidungsstichwort (Thema)
Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte. Ungerechtfertigte Abmahnung. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Abmahnungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Denn eine missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen.
2. Zu Unrecht ist eine Abmahnung erteilt, wenn sie formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte besteht.
3. Soweit bei Pflichtverletzungen mehrere Reaktionen möglich sind, kann § 242 BGB vor allem bei Dauerschuldverhältnissen dazu verpflichten, die mildere Reaktion zu wählen. Dazu kommen z.B. eine Ermahnung, ein Verweis oder eine Verwarnung in Betracht, die zwar auch die Pflichtverletzung rügen, aber nicht mit einer Warnung für die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft verbunden sind.
Normenkette
BGB §§ 242, 1004, 314 Abs. 2; GG Art. 5 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Entscheidung vom 02.10.2020; Aktenzeichen 12 Ca 1920/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 02.10.2020 – Az.: 12 Ca 1920/19 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger mit Schreiben vom 07.06.2019 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiter mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.694,14 € beschäftigt Er ist außerdem seit … gewähltes Betriebsratsmitglied im Werk L der Beklagten. Er gehört zur Wahlliste „Interessengemeinschaft Beruf und Familie“. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Wahlliste den Zusatz „Zentrum Automobil“ im Namen trägt (so der Kläger) oder ob es sich hierbei nur um die Bezugnahme auf den „Zentrum Automobil e.V.“ handelt (so die Beklagte), der die Wahlliste unterstützt. Dieser Verein ist nach Einschätzung der Parteien eine nicht tariffähige Arbeitnehmerkoalition. Der Zentrum Automobil e.V. hat auf seiner Website (www.zentrum-automobil.de) etablierte Gewerkschaften als „gekaufte Einheitsgewerkschaften“und deren Arbeitsweise als „faule Kompromisse satter Gewerkschaftsfunktionäre“ bezeichnet. Letzteren wird unterstellt „aktive Mitglieder sitzen bei Bankern und Managern am Tisch“ und „stecken mit den Managern unter einer Decke. Sie sind Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.“ (https://www.zentrum-automobil.de/ziele/).
Es bestand seit August 2002 eine Betriebsvereinbarung „Arbeitszeitregelung Produktion Werk …“, die eine bezahlte Brotzeitpause vorsah. Mit einer Betriebsvereinbarung „Zukunftssicherung des Werkes L“ vom 15.06.2015 wurde diese bezahlte Brotzeitpause gekürzt und letztendlich gestrichen.
Bei der Beklagten besteht eine als „Arbeitsordnung“ bezeichnete Betriebsvereinbarung, welche 1982 zwischen dem Vorstand und dem Gesamtbetriebsrat geschlossen wurde und (u.a.) im Betrieb L angewendet wird. Diese enthält unter dem Gliederungspunkt „V. Ordnung und Verhalten im Betrieb“ eine Nr. 13 „Unzulässiges Verhalten“, die auszugsweise wie folgt lautet:
„Im Interesse der Ordnung und Sicherheit ist es allen Mitarbeitern untersagt,
- …
-Zeitschriften, Drucksachen, Flugblätter, Plakate und sonstige Schriften ohne Genehmigung der zuständigen Organe zu verteilen, sofern dies nicht aus dienstlichem Anlass erfolgt,
- …“
In der Woche vom 20.05. bis 24.05.2019 hat die Beklagte im Vorfeld der damals bevorstehenden Europawahl eine Aktionswoche durchgeführt, um die Bedeutung der europäischen Staatengemeinschaft und der Globalisierung sowie deren Nutzen in den Vordergrund zu rücken. Es fand hier unter anderem ein Besuch des Bundespräsidenten im Werk L statt. Anlässlich dieses Besuchs sprach auch der Betriebsratsvorsitzende (vgl. Bl. 47 und 48 d.A.). Am 22.05.2019 verteilte der Kläger ein Flugblatt mit der drucktechnisch hervorgehobenen Überschrift „Interessengemeinschaft Beruf und Familie - Zentrum Automobil“. Auf dem Flugblatt ist das Logo der Interessengemeinschaft angebracht. Es ist ein Impressum aufgenommen, das dahin lautet, dass Verantwortliche im Sinne des Presserechts vier dort namentlich genannte Betriebsratsmitglieder sind, unter anderem der Kläger. Die weiteren drei Betriebsratsmitglieder gehören wie der Kläger der genannten Wahlliste an. Das Flugblatt hat das Thema Globalisierung zum Inhalt und stellt einen Auszug aus der o.g. Betriebsvereinbarung „Zukunftssicherung des Werkes Leipzig“ vom 15.06.2015 der Gegenwart und einer Zukunftsfiktion gegenübe...