Rz. 28
Unterrichtet der Rehabilitationsträger den Antragsteller nicht rechtzeitig
- über die Bewilligung/(Teil-)Ablehnung der beantragten Teilhabeleistung oder
- über den gesetzlich zugelassenen Hinderungsgrund i. S. einer Fristverlängerung,
gilt die beantragte Leistung nicht automatisch fiktiv als genehmigt; vielmehr hat der Antragsteller eine vorläufige Rechtsposition. Bezüglich des weiteren Schicksals dieser Rechtsposition ist zu unterscheiden, welche Handlungsoption der Rehabilitand wählt:
Alternative a:
Sofern der Begünstigte sich die Teilhabeleistung selbst beschafft, entsteht ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe der Kosten, die dem Rehabilitanden tatsächlich entstanden sind. Im Endeffekt kann sich der Rehabilitationsträger nach Ablauf der Frist nicht mehr auf die "materielle Rechtswidrigkeit" der beantragten Leistung berufen, wenn sich der Leistungsberechtigte – ohne böswillig zu sein – die Leistung selbst beschafft. Die Genehmigungsfunktion entfaltet ihre Wirkung insbesondere auch in Fällen, in denen nach materiellem Leistungsrecht des Rehabilitationsträgers dem Grunde nach kein Leistungsanspruch bestehen würde.
Alternative b:
Wenn der Antragsteller von seinem "Selbstbeschaffungsrecht" keinen Gebrauch macht, erlischt dieses Recht, sobald der Rehabilitationsträger über den Antrag bindend entschieden hat. Das bedeutet:
- Im Fall einer späteren positiven Leistungsbewilligung in Form eines vom Rehabilitationsträger erlassenen Verwaltungsakts begründet sich für den Rehabilitanden ein Naturalleistungsanspruch.
- Falls der Antrag aber bindend ablehnt wird, kann der Antragsteller (der sich die Leistung noch nicht beschafft bzw. in Auftrag gegeben hat) ab Eintritt der Bindungswirkung keine Rechtsansprüche aus § 18 Abs. 1 bis 5 heraus geltend machen – er kann sich also die Leistung nicht mehr selbst zulasten des Rehabilitationsträgers besorgen.
Teilweise wird in der Praxis die Meinung vertreten, dass dem nach § 18 Kostenerstattungsberechtigten unter diesen Gesichtspunkten nicht zu empfehlen ist, dem Rehabilitationsträger die Selbstbeschaffung einer Teilhabeleistung vorher anzukündigen; die Gefahr, dass der Rehabilitationsträger die Leistung durch Verwaltungsakt ohne weitere Prüfung zwecks Abschluss des Verwaltungsverfahrens – ggf. rechtswidrig – ablehnt, könnte in der Praxis bestehen. Der Autor ist allerdings der Meinung, dass dem Antragsteller in diesem Fall bis zum Eintritt der rechtlichen Bindungswirkung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes (= kein Widerspruch bzw. keine Klage, Berufung oder Revision mehr möglich) Zeit verbleibt, sich die Leistung selbst zu beschaffen und danach einen Kostenerstattungsanspruch i. S. des § 18 geltend zu machen (vgl. hierzu Rz. 12 f.).
Rz. 29
Die oben erwähnten Rechtsposition ergibt sich aus der Rechtsprechung des BSG v. 26.5.2020 (B 1 KR 9/18 R) und 18.6.2020 (B 3 KR 14/18 R sowie B 3 KR 13/19 R). Die Entscheidungen des 1. und 3. Senats des BSG betreffen die Genehmigungsfiktion aus dem Krankenversicherungsrecht nach § 13 Abs. 3a SGB V, haben aber aufgrund der Urteilstexte auch Auswirkungen auf die Genehmigungsfiktion des § 18 SGB IX, der insoweit dem § 13 Abs. 3a SGB V nachgebildet ist.
Rz. 30
Das BSG hat aufgrund seiner Urteile v. 26.5.2020 und 18.6.2020 (Rz. 29) nicht nur die Rechtsposition des Antragstellers neu geordnet, sondern auch noch folgende Rechtsgrundsätze aufgestellt:
Die leistungsberechtigte Personen hat gegenüber dem Rehabilitationsträger nur einen Kostenerstattungsanspruch. Das bedeutet, dass die antragstellende Person die Leistung zunächst selbst "einkaufen" muss ("private Vorfinanzierung") und erst im Nachhinein eine Kostenerstattung geltend machen kann; eine Zusicherung der direkten Kostenübernahme durch den Rehabilitationsträger kann nicht (mehr) gefordert werden.
Allerdings ist es zulässig, wenn der betroffene Leistungsberechtigte seinen Kostenerstattungsanspruch zur zeitnahen Erlangung einer begehrten Sach- oder Dienstleistung gegen den Rehabilitationsträger sicherungshalber an den Leistungserbringer abtritt ("Abtretung"); das erfordert allerdings, dass er vorher mit dem Leistungserbringer einen entsprechenden Kaufvertrag zwecks Selbstbeschaffung der Leistung eingegangen ist. Gerade in diesem Vorgehen liegt das Risiko, dass der Betroffene das für die Selbstbeschaffung aufgebrachte Geld nicht, nicht sofort oder nicht in der gewünschten Höhe erstattet bekommt.
Der Kostenerstattungsanspruch erstreckt sich nicht nur auf reine Selbstbeschaffungen, sondern auch auf Kaufverträge bzw. Zahlungsverpflichtungen, die der Leistungsberechtigte nach Ablauf des vom Rehabilitationsträger zu vertretenen Fristversäumnisses eingegangen ist, um die Selbstbeschaffungsware zu bestellen.
Der Kostenerstattungsanspruch erfordert nicht zwingend, dass bereits tatsächlich Zahlungen des Leistungsberechtigten erbracht wurden (z. B. bei Stundungen). Auf diese Weise kann so eine Selbstbeschaffung in gewisser Weise auch bei geringerer finanzieller Leistungsfähigkeit des Leistungsberechtigten grundsätzlich...