Rz. 14
Die Begutachtung nach § 17 spielt eine zentrale Rolle in der umfassenden Ermittlung des individuellen Rehabilitations- bzw. Teilhabebedarfs. Inhaltlich haben die Gutachten auf die Frage einzugehen, inwieweit und wie die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 angesprochenen Ziele für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen im Einzelfall verwirklicht werden können. Hierfür ist das Teilhabepotenzial des Betroffenen individuell zu ermitteln – und zwar mit einer Prognose zu der Entwicklung, die bei einer bestmöglichen Förderung und Nutzung aller Ressourcen und Kompetenzen erreichbar wäre.
Aufgrund § 25 Abs. 1 Nr. 4 wird den Rehabilitationsträgern die Verantwortung für eine trägerübergreifende Begutachtung nach einheitlichen Grundsätzen übertragen. Ziel ist,
- trotz der rehabilitationsträgerspezifischen Ausrichtungen Mehrfachgutachten zu vermeiden,
- sich widersprechende Begutachtungsergebnisse, die in der Vergangenheit immer wieder zu Verzögerungen im Rehabilitationsprozess geführt haben, auszuschließen und
- den rehabilitationsträgerübergreifenden Teilhabe- und Leistungsbedarf nach einheitlichen Kriterien zu erheben.
Das erfordert trägerübergreifende Qualitätsstandards bei den Gutachten. Hierin haben nicht nur die rehabilitationsträgerspezifischen Fragestellungen des Gutachtenauftraggebers, sondern auch die für andere Rehabilitationsträger bedeutsamen Fragestellungen einzufließen. Beauftragt also eine Krankenkasse den MD zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit eines schon seit langer Zeit psychisch kranken Versicherten, ist zugleich die Beurteilung wichtig, ob eine Erwerbsminderung i. S. d. Rentenversicherung droht bzw. schon eingetreten ist oder ob z. B. ein Bedarf an Leistungen zur sozialen Teilhabe besteht. Stellt dann die Krankenkasse fest, dass zumindest ein Teilhabebedarf gegenüber einen anderen Rehabilitationsträger besteht, ist dieser zu informieren (§§ 9, 10 und 12; ferner: Teilhabeplan i. S. d. § 19).
Die Ergebnisse verschiedener Gutachten werden in der Teilhabeplanung zusammengeführt (vgl. § 28 Abs. 1 der unter 5 aufgeführten Gemeinsamen Empfehlung "Reha-Prozess").
Rz. 15
Ist für die umfassende Bedarfsfeststellung ein Gutachten eines Sachverständigen erforderlich, beauftragt der leistende Rehabilitationsträger (§ 14) ein Gutachten nach den Regelungen des § 17. Beteiligt der leistende Rehabilitationsträger andere Rehabilitationsträger
- im Rahmen der Bedarfsermittlung,
- durch Antragsplitting (vgl. § 15) oder
- bei der Bedarfsfeststellung,
setzt er sich mit diesen bei seiner Entscheidung über Anlass, Ziel und Umfang der Beauftragung eines Sachverständigen ins Benehmen. Ziel ist, unnötige mehrfache Begutachtungen zu vermeiden (vgl. auch § 28 Abs. 2 der Gemeinsamen Empfehlung "Reha-Prozess", Rz. 5).
Aufgrund der "Zusammenarbeit" erkennen die Rehabilitationsträger untereinander Gutachten des anderen Rehabilitationsträgers an – so z. B. die Rentenversicherungsträger Gutachten des Medizinischen Dienstes (Krankenversicherung).
Rz. 16
Unter dem Begriff der Begutachtung sind nicht nur förmlich erteilte ärztlich-medizinische oder psychologische Gutachten, sondern alle zur Beurteilung des Teilhabebedarfs/-prozesses erstellten Gutachten von Medizinern, Psychologen, Integrationsberatern, Sozialarbeitern, Mitarbeitern des Medizinischen oder Ärztlichen Dienstes usw. zu verstehen.
Als Gutachten in diesem Sinne gilt die Anwendung (meist) sozialmedizinischer oder psychologischer Erkenntnisse und Erfahrungen bezogen auf einen Einzelfall im Hinblick auf eine konkrete Fragestellung des Auftrag gebenden Rehabilitationsträgers. Wesentliches Merkmal eines Gutachtens ist die wissenschaftlich begründbare Schlussfolgerung.
Die Gutachten können nach Aktenlage auf der Grundlage der vorhandenen Unterlagen erstellt werden, wenn bereits daraus die für die Schlussfolgerungen notwendigen Angaben und Befunde ermittelt werden können. Eine aktuelle persönliche Untersuchung und Befragung ist in diesen Fällen nicht notwendig.
Rz. 17
Die Rehabilitationsträger i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie die Integrationsämter haben zur Erreichung einer einheitlichen Durchführung von Begutachtungen unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) zuletzt mit Wirkung vom 1.11.2023 an eine "Gemeinsame Empfehlung nach § 26 Abs. 1 i. V. m. § 25 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX für die Durchführung von Begutachtungen möglichst nach einheitlichen Grundsätzen" vereinbart. Mit dieser Gemeinsamen Empfehlung werden vorrangig trägerübergreifende Grundsätze für das Gutachter- bzw. Sachverständigenverfahren festgelegt.
Das Wesen eines Gutachtens und die Anforderungen an ein Gutachten ergeben sich aus § 4 der Gemeinsamen Empfehlung "Begutachtung".
Der Umfang der Untersuchung richtet sich nach der Aufgabe, die der Leistungsträger, der die Untersuchung veranlasst, zu erfüllen hat (§ 96 Abs. 1 SGB X). Zur Vermeidung von unnötigen Doppeluntersuchungen haben die Leistungsträger sicherzustellen, dass Untersuchungen unterbleiben, soweit bereits verwertbare Untersuchungsergebn...