Rz. 84
Die stufenweise Wiedereingliederung (§ 44) dient dazu, arbeitsunfähige Erwerbstätige nach lang andauernder, schwerer Krankheit schrittweise an die volle Arbeitsbelastung heranzuführen und so den Übergang zur vollen Berufstätigkeit zu erleichtern. Durch eine individuell angepasste Steigerung von Arbeitszeit und/oder Arbeitsbelastung wird die Arbeitsfähigkeit im Rahmen eines ärztlich überwachten Wiedereingliederungsplans (Stufenplan) i. d. R. schneller erreicht.
§ 44 sieht für alle Trägerbereiche der medizinischen Rehabilitation die Möglichkeit der stufenweisen Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers/Selbständigen/Beamten oder selbstständig Tätigen an dessen bisherigem Arbeitsplatz vor.
Es stellt sich die Frage, ob Reisekosten i. S. d. § 73 zu zahlen sind, wenn der nach § 44 Wiedereinzugliedernde nachweist, dass ihm wegen der Teilnahme an der stufenweisen Wiedereingliederung Reisekosten entstehen.
Ein Arbeitnehmer (Maurer) war zuletzt ein Jahr arbeitsunfähig und bezog deswegen Krankengeld. Wegen einer medizinischen Leistung zulasten der gesetzlichen Rentenversicherung wurde anstelle des Krankengeldes Übergangsgeld gezahlt. Da sich der Gesundheitszustand des Rehabilitanden besserte, nahm er ab 1.3. an einer stufenweisen Wiedereingliederung zulasten des Rentenversicherungsträgers teil. Während der ersten 14 Tage der stufenweisen Wiedereingliederung betrug die Arbeitszeit 3 anstatt der vereinbarten 8 Stunden täglich. Aus Anlass der stufenweisen Wiedereingliederung entstanden dem Rehabilitanden zusätzliche Fahrkosten, weil er ...
Alternative a)
... trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit Fahrscheine lösen musste, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln seine übliche Arbeitsstelle zu erreichen (diese Kosten wären ihm während seiner Arbeitsfähigkeit sowieso entstanden).
Alternative b)
... den vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Sammeltransport zur Baustelle nicht nutzen konnte (Grund: der Sammeltransport wird nur am Anfang und am Ende einer 8-stündigen Arbeitszeit eingesetzt; der Heimweg nach den 3 Stunden Arbeitszeit ist jetzt individuell mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzutreten).
Bisher vertraten viele Rehabilitationsträger der Auffassung, dass die stufenweise Wiedereingliederung eine ergänzende Leistung zu einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation sei. Sie wäre deshalb weder selbst eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, noch eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Deshalb könnte die Reisekostenvorschrift des § 73 bei stufenweiser Wiedereingliederung nicht angewandt werden (so auch SG Kassel, Urteil v. 20.5.2014, S 9 R 19/13).
Diese Auffassung ist allerdings aufgrund mehrerer neuzeitlicher Urteile aus der Sozialgerichtsbarkeit nicht mehr zeitgemäß. Dieses kommt insbesondere durch das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 28.5.2020 (L 6 KR 100/15) zum Ausdruck. Hier heißt es unter Rz. 64 der Urteilsbegründung (Anmerkung des Autors: die bis 31.12.2017 geltenden Kapitel- und Paragraphenbezeichnungen wurden durch die aktuell geltenden ersetzt):
"Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handelt es sich um eine eigenständige Leistung der medizinischen Rehabilitation, bei der ergänzende Leistungen zu gewähren sind. Soweit vereinzelt die Auffassung vertreten wird, eine stufenweise Wiedereingliederung stelle keine eigenständige Leistung zur medizinischen Rehabilitation dar, die einen Anspruch auf Fahrkosten gemäß § 73 SGB IX auslöse (so SG Kassel, Urteil v. 20.5.2014, S 9 R 19/13), steht dem die systematische Stellung des § 44 SGB IX und auch die Rechtsprechung des BSG entgegen (so auch SG Neuruppin, Urteil v. 26.1.2017, S 22 R 127/14; SG Kiel, Urteil v. 4.11.2016, S 3 KR 201/15; SG Berlin, Urteil v. 29.11.2018, S 4 R 1970/18). In Kapitel 11 des SGB IX (§§ 64 ff. SGB IX...) hat der Gesetzgeber die „Ergänzenden Leistungen“ geregelt, welche die Hauptrehabilitationsleistungen flankieren und zusätzlich zu diesen zu gewähren sind. Die Hauptrehabilitationsleistungen selbst sind in dem Kapitel 9 „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ und in dem Kapitel 10 „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ geregelt. Bereits daraus, dass die stufenweise Wiedereingliederung in § 44 SGB IX im Kapitel 9 des SGB IX aufgeführt ist, ergibt sich, dass es sich um eine eigenständige Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Das BSG hat mit Urteil v. 20.10.2009 (B 5 KR 44/08 R) ausgeführt, dass die stufenweise Wiedereingliederung eine Hauptleistung sei, die z. B. durch Übergangsgeld ergänzt werde. Auch der Umstand, dass die stufenweise Wiedereingliederung in § 42 Abs. 2 SGB IX nicht ausdrücklich aufgezählt wird, spricht nicht gegen ihre Einordnung als Hauptleistung der medizinischen Rehabilitation. Denn erkennbar handelt es sich nicht um eine abschließende, sondern um eine offene Aufzählung („insbesondere“)."
Sinngemäß entschied ebenso auch das SG Dresden mit Urteil v. 17.6.2020 (S 18 KR 967/19). Hier ging es um die Zahlung von Fahrkosten anlässlich einer Stufenweisen Wiedereingliederung, welche ...