Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements


Betriebliches Eingliederungsmanagement: Ablauf in 6 Schritten

Ein strukturierter Prozess und systematische Vorgehensweisen sind für das Gelingen des betrieblichen Eingliederungsmanagements hilfreich. Hier finden Sie Informationen zum Ablauf des BEM-Verfahrens und Tipps für das BEM-Gespräch.

Für den Ablauf eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) gibt es keine festen Vorgaben. Jedoch werden die gesetzlichen Anforderungen an das BEM ohne systematische Prozesse und Vorgehensweisen im Unternehmen nicht zufriedenstellend erfüllt werden können. Auch eine krankheitsbedingte Kündigung wird allgemein nur als gerechtfertigt angesehen, wenn die hohen Anforderungen an ein gut durchgeführtes BEM erfüllt worden sind. Das hat das BAG jüngst bestätigt. Im Folgenden erläutern wir, wie ein betriebliches Eingliederungsmanagement in der Praxis ablaufen kann.

Betriebliches Eingliederungsmanagement: Zusammensetzung des Teams

Das BEM-Team besteht verpflichtend aus

  • einem Vertreter des Arbeitgebers (häufig aus der Personalabteilung) und
  • einem Vertreter der Interessenvertretung.

Bei Fällen mit schwerbehinderten Beschäftigten ist zudem die Vertrauensperson der schwerbehinderten Person zu beteiligen.

Fallbezogen können zur Beratung des Teams folgende weitere interne und externe Experten hinzugezogen werden:

  • Arbeitsmediziner,
  • Fachkraft für Arbeitssicherheit,
  • externe Stellen wie Fachkräfte des Integrationsamts oder der Rehabilitationsträger (Krankenkasse, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Agentur für Arbeit) sowie von Einrichtungen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation oder des Integrationsfachdienstes.

Bei der Auswahl der Mitglieder des BEM-Teams empfiehlt es sich, auf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten der Mitglieder Wert zu legen wie zum Beispiel Bereitschaft zur vertrauensvollen Zusammenarbeit im Team, Kompetenz für eine strukturierte, ziel- und ressourcenorientierte Fallbearbeitung, hohe Akzeptanz im Unternehmen. Darüber hinaus müssen die Mitglieder des BEM-Teams ausreichende zeitliche Ressourcen haben.

BEM-Verfahren: Evaluation und Controlling

Das BEM-Team sollte in regelmäßigen Abständen den BEM-Prozess im Unternehmen evaluieren, um zu beurteilen, ob und wie die Ziele und Aufgaben gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX erfüllt sind. Die Evaluation liefert Hinweise auf den erforderlichen Anpassungs- und Erweiterungsbedarf für die Organisations- und Verfahrensabläufe und kann - zum Beispiel beim Einsatz von Kennzahlen - den Nutzen des BEM verdeutlichen.

Eine Festlegung dazu, welche quantitativen Daten zu "Kennzahlen" zusammengefasst werden können, sollte bereits zu einem frühen Zeitpunkt der BEM-Einführung erfolgen. Gleichzeitig dient die Evaluation als Grundlage dafür, die betriebliche Öffentlichkeit über das BEM-Geschehen und seine Erfolge zu informieren.

Ablauf des BEM-Verfahrens

Die gesetzlichen Anforderungen an das betriebliche Eingliederungsmanagement bieten Freiräume für den konkreten Ablauf des BEM-Verfahrens. Folgende Schritte sollten jedoch beachtet werden:

1. BEM-Verfahren einleiten:

Der Arbeitgeber entscheidet, ob und wann mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement begonnen wird. Zwar sieht das Gesetz ausnahmslos ein BEM bei Erfüllen der Voraussetzungen vor (länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres arbeitsunfähig erkrankt). Ausgerichtet an den Zielen kann es sich aber ergeben, dass kein BEM erforderlich ist, obwohl der Arbeitnehmende länger als sechs Wochen im Jahr arbeitsunfähig erkrankt ist oder war. Beispiel: Wenn der Arbeitnehmende bei einem Sportunfall einen komplizierten Armbruch erlitten hat, erfolgreich operiert wurde und anschließend eine Reha durchläuft, kann vieles dafür sprechen, dass die Heilung vollständig gelingen wird. Jetzt ein BEM durchzuführen, ist in einer solchen Situation oft nicht sinnvoll.

2. Über die Ziele des BEM informieren:

Der oder die Beschäftigte soll sich angstfrei aus das BEM einlassen können. Deshalb verlangt § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX, dass der Arbeitgeber zunächst über die Ziele des BEM und über die erhobenen und verwendeten Daten informiert (siehe Absatz oben: "Betriebliches Eingliederungsmanagement und Datenschutz").

3. Zustimmung des Betroffenen zum BEM:

Der oder die Betroffene kann frei entscheiden, ob er seine bzw. sie ihre Zustimmung erteilt. Diese ist formlos möglich.

4. BEM-Gespräch durchführen:

Zentraler Bestandteil des BEM sind die BEM-Gespräche. Nach der Zustimmung des betroffenen Mitarbeitenden zum BEM-Verfahren findet das Erstgespräch statt - entweder mit dem BEM-Verantwortlichen alleine oder mit weiteren Beteiligten (Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung). Ziel dieses Gesprächs ist es, zu erörtern, welche Gründe es für die Fehlzeiten gibt und ob diese Krankenzeiten ursächlich mit den Arbeitsbedingungen in Zusammenhang stehen (siehe Absatz unten: "BEM-Gespräch: Ablauf und Leitfaden"). Bereits jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt wird, soweit es erforderlich erscheint, der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Der oder die Betroffene ist nicht verpflichtet, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, obwohl das das Verfahren sehr erleichtern könnte. Der Hinweis auf die Gefährdung des Arbeitsverhältnisses durch Fehlzeiten ist zulässig, um dem Arbeitnehmenden deutlich zu machen, dass eine aktive Mitarbeit im BEM im Interesse der Mitarbeitenden ist.

5. BEM-Ziele erörtern und festlegen:

Im Rahmen des BEM-Gesprächs wird erörtert, was für den betroffenen Mitarbeitenden mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement erreicht werden soll. Es werden entsprechende BEM-Ziele festgelegt. Der Inhalt und die Zielrichtung des BEM werden sich danach unterscheiden, ob es sich um einen langzeiterkrankten Beschäftigten handelt oder ob häufige Kurzerkrankungen im Vordergrund stehen.

Bei Ersterem stellt sich die Frage nach dem aktuellen Gesundheitszustand und der Aussicht auf baldige Genesung, aber auch die Frage, ob die Einsatzfähigkeit des Beschäftigten voll wieder hergestellt oder eingeschränkt sein wird und wie sich die Einschränkungen auf die weitere Arbeit auswirken werden.

Bei häufigen Kurzerkrankungen steht die Frage nach deren Ursache im Vordergrund. Betriebliche Ursachen sind zu besprechen, aber auch die persönlichen Lebensumstände des Beschäftigten. Nach einer Analyse der Ursachen für die Erkrankung muss dazu übergegangen werden, Hilfsmöglichkeiten für den Beschäftigten bzw. die Beschäftigte zu erkunden.

6. Ende des BEM:

Das BEM ist erst abgeschlossen, wenn die Fehlzeiten dauerhaft unter die Sechs-Wochen-Grenze des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gesunken sind, die Teilnehmenden das Ende feststellen oder das Beschäftigungsverhältnis endet. Eine Grenze ist da erreicht, wo auch nach Ansicht kompetenter Berater wie dem Integrationsamt oder der Servicestelle keine Möglichkeiten mehr zur Wiedereingliederung des Arbeitnehmenden in das Arbeitsverhältnis oder zur Fehlzeitenreduzierung bestehen.

Stufenweise Wiedereingliederung in Abgrenzung zum BEM-Verfahren

Stufenweise Wiedereingliederung nach § 44 SGB IX hat nicht direkt etwas mit BEM zu tun. Unter stufenweiser Wiedereingliederung werden Modelle verstanden, bei denen Beschäftigte, die sich nach Erkrankung oder Verletzung in der Genesungsphase befinden, nach Absprache mit dem behandelnden Arzt stundenweise an den Arbeitsplatz zurückkehren und so allmählich (z. B. in wochenweisen Steigerungen) wieder an die Arbeitsbelastungen herangeführt werden. Ziel der stufenweisen Wiedereingliederung ist es, den Gesundheitszustand des Betroffenen durch eine schonende Heranführung an die Arbeitsbelastungen zu verbessern oder mindestens zu stabilisieren. Als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation gehört sie in die Zuständigkeit des behandelnden Arztes.

Oft greift bei einer Wiedereingliederung jedoch gleichzeitig auch das betriebliche Eingliederungsmanagement. Das ist dann der Fall, wenn die gesamte Zeit der Arbeitsunfähigkeit sechs Wochen überschreitet, was in den fraglichen Fällen meist zutrifft. Das BEM hat die Aufgabe, nach einer längeren Arbeitsunfähigkeitsphase zu klären, ob durch Maßnahmen am Arbeitsplatz das Risiko minimiert werden kann, dass es zu erneuten gesundheitsbedingten Ausfällen kommt.

Auch wenn die Stoßrichtung bei beiden Verfahren unterschiedlich ist, dienen sie beide dazu, im Sinn einer möglichst umfassenden Rehabilitation Arbeitsfähigkeit sicherzustellen. Das BEM beinhaltet jedoch nicht automatisch eine stufenweise Wiedereingliederung, sondern setzt (von Vorgesprächen abgesehen) eigentlich erst dann ein, wenn die Arbeitsfähigkeit wieder als gegeben gilt.

Mehr zur stufenweisen Wiedereingliederung lesen Sie in diesem Beitrag.

BEM bei Long Covid

In Deutschland gibt es aktuell über eine halbe Million Menschen, die an den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung leiden, die meisten im berufstätigen Alter. Typische Symptome von "Long Covid" sind Müdigkeit, Kurzatmigkeit, aber auch psychische Auffälligkeiten. Für das BEM stellt der noch unerforschte und sehr individuell verlaufende Krankheitsverlauf eine besondere Herausforderung dar, da es keine standardisierten Behandlungsprogramme gibt. Dazu kommt, dass die Krankheitsverläufe "disruptiv" sind. Das bedeutet, die Genesung schreitet häufig nicht kontinuierlich fort, vielmehr wechseln sich "gute", also nahezu beschwerdefreie Tage oder Wochen, mit weniger guten Zeiten ab, in denen die Mitarbeitenden stark belastet sind.

Dieser Krankheitsverlauf passt damit nicht in die streng klassischen Modelle des Eingliederungsmanagements wie beispielweise die stufenweise Wiedereingliederung nach dem sogenannten Hamburger Modell, bei dem die volle Arbeitskraft kontinuierlich steigernd wiederhergestellt wird. Beim BEM aufgrund von Long Covid ist dementsprechend eine besondere Vernetzung von Betriebsmedizin, ambulanter und stationärer Medizin sowie Reha-Einrichtungen nötig, die auch auf die häufig damit einhergehenden psychischen Probleme eingehen können. (Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag: "Long Covid bei Mitarbeitenden: Was Arbeitgeber tun können").

BEM-Gespräch: Ablauf und Leitfaden

Damit das BEM-Gespräch gelingt, empfiehlt Berater, Trainer und Coach Dr. Frank Stöpel ein vierstufiges Gesprächsmodell, das Personalverantwortliche und Führungskräfte anhand des nachfolgenden Phasenplans vorbereiten können.

Phase 1: Rapport-Phase

Zunächst gilt es, einen positiven Kontakt zum Mitarbeitenden auf der Beziehungsebene herzustellen, etwa durch Gesten der Höflichkeit und Freundlichkeit. In dieser Phase können auch Verfahrensfragen erörtert werden. Wichtig ist, nur die Informationen weiterzugeben, die der Mitarbeitende benötigt, und zu vermeiden, dass er in eine passive Haltung rutscht. Dabei helfen Fragen nach den Erwartungen des Mitarbeitenden.

Phase 2: Problemerfassung

In der zweiten Phase gilt es, die Diskrepanz zwischen Ist- und Zielzustand herauszuarbeiten. Daraus ergeben sich drei Aufgaben: Was ist der Istzustand, was ist der Zielzustand und welche Abweichungen gibt es? Für den Einstieg empfehlen sich Fragen nach den funktionellen Einschränkungen und Möglichkeiten, um zu klären, welche Tätigkeiten unter welchen Bedingungen wie lange ausgeführt werden können. Auch bei primär körperlichen Erkrankungen sollte die Erfassung des Istzustands sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen umfassen - denn eine längere Zeit der Arbeitsentwöhnung und die Konfrontation mit einer womöglich existenzbedrohenden Erkrankung können sich etwa auch auf die personalen Kompetenzen auswirken. Eine mögliche Diskrepanz zwischen subjektiven und objektiven Anforderungen und Kompetenzen sollte der/die BEM-Verantwortliche thematisieren.

Neben dem Arbeitsplatz sollte der/die BEM-Verantwortliche aber auch das private Umfeld des Mitarbeitenden und dessen/deren Stresslevel erfassen. Denn nicht nur bei Erkrankungen der Psyche, sondern auch bei den häufigsten Muskel-Skelett-, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen spielen psychosoziale Faktoren eine Rolle. Wichtig in dieser Phase ist es, dass dem/der Mitarbeitenden bewusst ist, dass er oder sie Probleminhaber/in ist - denn nur so engagiert er oder sie sich wirklich für eine Lösung.

Phase 3: Problemlösung

Es hat sich bewährt, erst nach einer systematischen Erfassung des Problems an die Lösung zu gehen. Wenn es mehr als ein Problem gibt, gilt es, eine Reihenfolge aufzustellen. Dabei empfiehlt es sich, bei lösbaren Schwierigkeiten zu beginnen. Dies schafft ein Erfolgserlebnis am Anfang des Prozesses, das Optimismus für dessen weiteren Verlauf weckt.

Der oder die BEM-Beauftragte sollte dem Mitarbeitenden helfen, möglichst viele eigene Lösungen zu finden, aus denen dieser oder diese eine auswählt. Dabei bietet sich die Referenzmethode an: Ein Satz wie "Ein Kollege von Ihnen war einmal in einer ähnlichen Situation und da hat er folgende Lösung umgesetzt" ermöglicht Modelllernen und macht eventuell schambesetzte Lösungen wie eine Psychotherapie gangbar. Auch hier ist es wichtig, dass der oder die Mitarbeitende eine aktive Rolle übernimmt. Letzteres ist, das zeigt die Salutogenese-Forschung, auch für die weitere Entwicklung der Gesundheit wichtig.

Phase 4: Abschluss

In der letzten Gesprächsphase werden die besprochenen Aspekte noch einmal zusammengefasst und klar benannt, wer welches Arbeitspaket hat. Diese Pakete sollten mit einem eindeutigen, zeitnahen Termin versehen werden. Auch der Effekt der sich selbst erfüllenden Prophezeiung kann bei BEM-Gesprächen genutzt werden: Der/Die BEM-Verantwortliche sollte seinen/ihren Optimismus zum Ausdruck bringen, um die Chancen für ein erfolgreiches BEM weiter zu verbessern. Um den Erfolg zu erfassen, wird ein Folgetermin vereinbart, bei dem offene Punkte und neue Aspekte besprochen werden können.