Gewerkschaften fordern Entgelterhöhung von 8 Prozent - Arbeitgeber halten Forderungen für überzogen
8 Prozent mehr bei Laufzeit von 12 Monaten
Verdi, dbb und weitere Gewerkschaften fordern nach dem Beschluss der Bundestarifkommission vom 9. Oktober für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen eine Entgelterhöhung von 8 Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr monatlich. Darüber hinaus werden höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten gefordert.
Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 Euro monatlich angehoben werden. Außerdem fordert Verdi 3 zusätzliche freie Tage, um die zunehmende Arbeitsbelastung auszugleichen. Über ein neues, von den Gewerkschaften gefordertes „Meine-Zeit-Konto“ sollen die Beschäftigten im Sinne einer Wahlmöglichkeit eigenständig verfügen und entscheiden können, ob die erzielte Entgelterhöhung oder weitere Vergütungsbestandteile wie Überstunden inklusive Zuschlägen ausgezahlt oder auf das Konto gebucht werden sollen. Das „Meine-Zeit-Konto“ soll für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, zusätzliche freie Tage oder auch längere Freistellungsphasen genutzt werden. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll zwölf Monate betragen.
Arbeitgeber weisen Forderungen als überzogen zurück
„In Anerkennung der Leistungen und Herausforderungen unserer Beschäftigten sind die Kommunen schon im vergangenen Jahr bis an die Grenzen der Belastbarkeit gegangen und klar ist: Jeder Euro, der für höhere Gehälter ausgegeben werden muss, fehlt an anderer Stelle, beispielsweise für wichtige Investitionen in die Daseinsvorsorge“, erklärt Karin Welge, die als VKA-Präsidentin die Verhandlungen für die etwa 10.000 kommunalen Arbeitgeber führt. Karin Welge: „Die Zeiten hoher Inflation sind vorbei. Zuletzt betrug diese 1,6 Prozent. Deutschland befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen hat sich weiter verfestigt. Allein die Entgeltforderungen und die 3 zusätzlichen freien Tage bedeuten für die kommunalen Arbeitgeber Zusatzkosten in Höhe von 10,86 Prozent. In Summe sind das 14,88 Milliarden Euro. Bereits die 3 freien Tage würden mit 2,04 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Das ist schlicht nicht zu stemmen und passt nicht in diese Zeit. Die Kosten der weiteren Forderungen gilt es noch zu beziffern.“
Mehr Kita-Schließtage und weniger kommunale Leistungen drohen
Auch die Forderungen nach mindestens 3 zusätzlichen freien Tagen im Jahr lehnt die VKA-Präsidentin mit deutlichen Worten ab. Schon heute habe jeder Vollzeitbeschäftigte der kommunalen Arbeitgeber 30 Tage bezahlten Urlaub im Jahr. Dazu kämen bei einigen Berufsgruppen sogar noch weitere freie Tage, beispielsweise in Form von 2 Regenerationstagen bei Erzieherinnen und Erziehern. „Damit sind die kommunalen Arbeitgeber bereits jetzt im absoluten Spitzenfeld angesiedelt“, so Karin Welge. „Dennoch fordern die Gewerkschaften nun mindestens 3 weitere bezahlte freie Tage. Die Arbeit, die zu erledigen ist, bleibt aber gleich. Bereits in Folge der Einführung der Regenerationstage für die Erzieherinnen und Erzieher haben wir gesehen, wozu das führt: Viele Kitas mussten ihre Schließzeiten anpassen. Wenn nun mehr freie Tage für den gesamten öffentlichen Dienst gefordert werden, ist also jedem klar, was das faktisch bedeutet. Und es dürfte wohl kaum im Interesse der Gewerkschaften sein, wenn Kitas zukünftig häufiger schließen, der Bürgerservice eingeschränkt wird oder Stationen im Krankenhaus geschlossen werden müssen, weil nicht genug Pflegekräfte verfügbar sind. Das würde dem so wichtigen Vertrauen in die Stabilität und Verlässlichkeit des öffentlichen Dienstes schaden. Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger.“
Tariferhöhung als Mittel gegen den Fachkräftemangel?
„In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst geht es – wie in allen bevorstehenden Tarifrunden – insbesondere darum, die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu stärken. Das ist wichtig für das Wirtschaftswachstum in Deutschland“, betont der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Zudem sei eine deutliche Erhöhung der Einkommen notwendig, damit der öffentliche Dienst auch im Wettbewerb um Arbeitskräfte mithalten könne. „Die Beschäftigten von Bund, Kommunen und kommunalen Unternehmen spüren immer stärker die Folgen von unbesetzten Stellen und Personalknappheit. Daher muss alles getan werden, um den öffentlichen Dienst wieder attraktiver zu machen. Und dazu gehören neben mehr Geld, vor allem mehr Zeitsouveränität und mehr Entlastung“, so Werneke. Wie wichtig das Themenfeld Arbeitszeit im öffentlichen Dienst sei, habe auch die im Frühjahr veröffentlichte, umfangreiche ver.di-Befragung mit mehr als 260.000 Teilnehmenden gezeigt.
In diese Richtung argumentierte auch der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach: „Uns fehlen jetzt schon 570.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst und die demografische Krise beginnt gerade erst. In den nächsten zehn Jahren geht ein Drittel der Beschäftigten in den Ruhestand. Wenn wir jetzt nicht für eine wettbewerbsfähige Bezahlung und attraktivere Arbeitsbedingungen sorgen, schmieren wir in der Konkurrenz mit der Privatwirtschaft ab.“ Die Bürgerinnen und Bürger würden aktuell bereits den Mangel erleben und zunehmend das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates verlieren, so Silberbach weiter: „Das ist demokratiegefährdend. Wir müssen diesen Trend jetzt umkehren. Spürbare Einkommenszuwächse sowie attraktive und flexible Arbeitsbedingungen sind ein wichtiger erster Schritt. Nur so gewinnen Bund und Kommunen neue und motivieren vorhandene Beschäftigte.“
Aus Arbeitgebersicht sind die geforderten Tariferhöhungen hingegen nicht zur Bekämpfung des Fachkräftemangels geeignet. VKA-Präsidentin Karin Welge erklärt dazu: „Das Ziel der Attraktivierung als Arbeitgeber eint die Gewerkschaften und die kommunalen Arbeitgeber, das steht fest. Die Wege dorthin unterscheiden sich jedoch. Die Gewerkschaften fordern nämlich erneut überproportionale Steigerungen für die unteren und mittleren Lohngruppen“. Dort sei der kommunale öffentliche Dienst aber bereits heute gut aufgestellt. „Nehmen wir nur das Einkommen von Erzieherinnen und Erziehern, das in den vergangenen Jahren im Schnitt um rund 25 Prozent und in der Spitze um 30 Prozent gestiegen ist. Erzieherinnen und Erzieher verdienen mittlerweile bis zu 5.000 Euro brutto monatlich.“
Anreize brauche es aus Sicht der Arbeitgeber stattdessen für die Übernahme von Führungspositionen, bei denen man mit den Gehältern der freien Wirtschaft konkurrieren müsse. Die Forderungen der Gewerkschaften hätten deshalb weniger mit einem aktiven Beitrag zur Fachkräftesicherung zu tun, als mit ihrer eigenen Mitgliederstruktur: In vielen Branchen sei es so, dass zwar große Teile der Belegschaft in der Gewerkschaft seien, aber nur wenige Führungskräfte. „Dadurch ist klar, wen die Gewerkschaften im Blick haben – und wen eben nicht. Das ist ja auch völlig legitim, aber dann muss ich mich in der Argumentation auch ehrlich machen: Die Gewerkschaften wissen schließlich ebenfalls, dass die Engpässe nicht da sind, wo sie in besonderem Maße Gehaltszuwächse fordern“, so Karin Welge.
Weitere Forderungen im Überblick
Zum Forderungspaket gehört zudem der Neuabschluss eines Tarifvertrags zur Altersteilzeit mit bevorzugtem Zugang für Beschäftigte in besonders belasteten Berufen. Darüber hinaus fordert ver.di einen zusätzlichen freien Tag für Gewerkschaftsmitglieder.
Für die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen fordert ver.di eine bezahlte Pause in der Wechselschicht.
Zudem erwartet die Gewerkschaft unter anderem, dass junge Beschäftigte nach erfolgreicher Ausbildung unbefristet übernommen und in die Erfahrungsstufe 2 eingruppiert werden.
Neben der zeit- und wirkungsgleichen Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamtinnen und Beamten soll auch deren Arbeitszeit von derzeit 41 Stunden wöchentlich um zwei Stunden auf das bestehende Tarifniveau reduziert werden.
Wie geht es weiter?
Die Verhandlungen beginnen am 24. Januar 2025 in Potsdam und werden am 17./18. Februar fortgesetzt. Mit einer Einigung kann frühestens mit Abschluss der dritten Verhandlungsrunde am 16. März 2025 gerechnet werden.
Fest steht bereits jetzt, dass es harte Verhandlungen werden. VKA-Präsidentin Karin Welge wünscht sich daher vor allem Ruhe und Sachlichkeit für die bevorstehenden Verhandlungen: „In Summe gefährden die Forderungen der Gewerkschaften die Handlungsfähigkeit der Kommunen und das wissen die Gewerkschaften natürlich auch. Deswegen wünsche ich mir, dass wir in den ab Januar 2025 anstehenden Verhandlungen ruhig und sachlich agieren. Wir müssen dabei auch immer berücksichtigen, das Leistungsangebot für die Bürgerinnen und Bürger aufrechtzuerhalten. Mein Ziel ist ein angemessener Interessensausgleich, mit dem wir zeigen: Die Tarifautonomie funktioniert!“
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