Rz. 6
Nach der BT-Drs. 14/5074, S. 100, die im Zusammenhang mit der inhaltlich fast identischen Vorgängervorschrift (§ 9 a. F.) ergangen ist, stellt § 8 Abs. 1 sicher, dass bei Auswahl und Ausführung der Leistungen zur Teilhabe
- berechtigten Vorstellungen/Wünschen des Menschen mit Behinderung entsprochen sowie
- auf persönliche und familiäre Bedürfnisse und Gegebenheiten Rücksicht genommen
wird. Zu den Menschen mit Behinderung zählt die Gesetzesbegründung ausdrücklich auch psychisch Kranke, wenn sie deswegen behindert sind oder wenn ihnen deswegen eine Behinderung droht.
Im deutschen Sprachgebrauch steht das Wort "berechtigt" synonym für "erlaubt", "gesetzeskonform", "legitim", "rechtlich einwandfrei", "rechtmäßig", "statthaft", "zulässig". Berechtigt i. S. d. § 8 sind die vom Leistungsberechtigten geäußerten Wünsche dann, wenn Wünschen keine Rechtsvorschrift entgegensteht und wenn sie sich innerhalb des für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden gesetzlichen Leistungsrechts bewegen (Gesetzesbegründung, vgl. Rz. 1). Die finanziellen Auswirkungen für den Rehabilitationsträger haben in diesem Zusammenhang grundsätzlich nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Interessen des Rehabilitanden sind vom Rehabilitationsträger ausreichend zu würdigen.
Rz. 7
Die berechtigten Wünsche können sich sowohl
- auf die eigentliche Teilhabeleistung (Hauptleistung) als auch
- auf die damit verbundenen ergänzenden Leistungen (z. B. Fahr- bzw. Reisekosten, Haushaltshilfe i. S. d. §§ 73, 74)
beziehen.
Rz. 8
Die Gründe, warum Menschen mit Behinderung (§ 2 Abs. 1) im Zusammenhang mit Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen Wünsche äußern, sind in der Praxis vielfältig. In Betracht kommen z. B.
- religiöse, weltanschauliche und alters- oder geschlechtsspezifische Bedürfnisse (z. B. bei der Versorgung mit Speisen, Abs. 1 Satz 2);
- familiäre Gesichtspunkte (z. B. die Verwandten, die während einer Teilhabeleistung eine Betreuung des im Haushalt lebenden Kleinkindes sicherstellen können, wohnen in der Stadt, in der die Teilhabeleistung gewünscht wird; davon verspricht sich der Rehabilitand, das Kind während der Rehabilitation regelmäßig zu sehen, Abs. 1 Satz 3);
- Wahl einer weit entfernt liegenden Rehabilitationseinrichtung, weil der Rehabilitand z. B. in dieser die Rehabilitationsleistung wesentlich eher beginnen kann oder bei Ausländern die Einrichtung in der Heimatsprache therapiert (vgl. hierzu Rz. 10, 16 ff.);
- der Wunsch, eine Rehabilitationsleistung stationär statt ambulant durchzuführen (und umgekehrt);
- der Wunsch, eine Rehabilitationsleistung aus persönlichen Gründen früher oder später beginnen zu lassen (vgl. Rz. 19);
- der Wunsch, die Dauer der Teilhabeleistung aus medizinischen Gründen zu verlängern;
- der Wunsch nach Mitnahme einer Begleitperson (vgl. Rz. 11);
- der (in der Regel nicht berechtigte) Wunsch nach Zusatzleistungen (Zweibettzimmer, Internetanschluss etc.; vgl. Rz. 21);
- der Wunsch nach einem anderen Hilfsmittel, das den gleichen Zweck erfüllt (z. B. individueller Einsatz einer Treppenraupe zur Überwindung mehrere Treppen statt starrer Treppenrampen);
- der Wunsch nach einer anderen Assistenz (Wechsel der als Assistenz tätigen Person).
Zu unterscheiden sind hier zwischen berechtigten (Rz. 10 ff.) und unberechtigten Wünschen (Rz. 15 ff.). Die Berechtigung der geäußerten Wünsche ist vom Rehabilitationsträger individuell und sorgfältig zu prüfen. Es geht dabei um die Prüfung, ob der Wunsch des Rehabilitanden unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Auswirkungen der Behinderung und der Lebenssituation im Rahmen des geltenden Rechts für ihn so wichtig ist, dass die Interessen der Gemeinschaft (meist: wirtschaftliche Interessen) gegenüber diesem Wunsch zu vernachlässigen sind.
Rz. 9
Der Rehabilitand sollte seine Wünsche möglichst schon zum Zeitpunkt des Antrages benennen, damit der Rehabilitationsträger besser planen kann. Er kann seine Wünsche aber auch jederzeit schriftlich oder mündlich (zur Niederschrift) bei dem entsprechenden Rehabilitationsträger äußern.
§ 16 SGB I, wonach Anträge auch bei einem unzuständigen Leistungsträger (§ 12 SGB I) gestellt werden können, wirkt nach Auffassung des Autors auch, wenn der Wunsch gegenüber einem unzuständigen Träger geäußert wird – und zwar auch dann, wenn der Wunsch – zeitlich losgelöst vom Antrag – nachträglich geäußert wird. Als Antrag i. S. des § 16 SGB I gilt nämlich eine öffentlich-rechtliche, empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass eine mehr oder weniger genau bestimmte Leistung oder ein Leistungsbündel begehrt wird. Und das ist bei einem nachgeschobenen Wunschrecht auch der Fall. Geht also der Antrag (= nachgeschobener geäußerter Wunsch) bei einem Sozialleistungsträger etc. ein, der nicht zuständiger Rehabilitationsträger i. S. d. § 14 SGB X ist, ist der "Antrag" (Wunsch) an den zuständigen Träger weiterzuleiten.