Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Pflegekraft in Pflegeheim. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
1. Pflegekräfte können ihre Tätigkeit in Pflegeheimen grundsätzlich in abhängiger Beschäftigung oder als Selbstständige erbringen.
2. Die für die Abgrenzung allgemein anerkannten Indizien der betrieblichen Eingliederung und des Unternehmerrisikos haben im Bereich der Pflege nur eine begrenzte Aussagekraft, weil eine gewisse betriebliche Eingliederung für den reibungslosen Ablauf der Pflege unvermeidbar ist und nennenswerte betriebliche Investitionen für die Ausübung der Tätigkeit nicht erforderlich sind.
3. Besonderes Gewicht für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit hat vor diesem Hintergrund, ob die Pflegekraft für mehrere Auftraggeber tätig ist und ob die Vergütung deutlich über dem Bruttolohn für eine entsprechende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung liegt.
Orientierungssatz
zu Leitsatz 3 vgl BSG vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 30
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 21. April 2015 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2010 wird aufgehoben, soweit Sozialversicherungsbeiträge für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 23. Januar bis 31. März 2007 nacherhoben werden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 1/3, die Klägerin 2/3 der Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 10.245,21 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 23. Januar bis 30. September 2007 bei der Klägerin als Pflegekraft sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und die Beklagte deshalb zu Recht Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 10.245,21 EUR nachfordert.
Die Beklagte führte bei der Seniorenresidenz L... E... GmbH, die mittlerweile unter W... Z... Verwaltungs GmbH firmiert, im Zeitraum vom 24. August 2009 bis 29. Januar 2010 eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch. Nach vorheriger Anhörung stellte sie mit Bescheid vom 1. Februar 2010 (Widerspruchsbescheid vom 11. November 2010) fest, dass diverse Pflegefach- und Pflegehilfskräfte, die bei der Klägerin als freie Mitarbeiter geführt worden waren, als Beschäftigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterlägen. Die Beklagte forderte Beiträge in Höhe von 158.292,40 EUR nach, wovon auf die Beigeladene zu 1) 10.254,21 EUR entfielen.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, die erbrachten Pflege- bzw. Arbeitsleistungen seien ausschließlich in den einzelnen Stationen bzw. Wohnbereichen der Klägerin erfolgt. Die Beigeladene sei in deren Betriebsabläufe eingegliedert gewesen, habe einem Weisungsrecht der Klägerin unterlegen und selbst kein relevantes Unternehmerrisiko getragen. Am 22. März 2007 hätten die Beigeladene zu 1) und die Klägerin zudem eine schriftliche Vereinbarung getroffen, aus der hervorgehe, dass die Beigeladene zu 1) ab 1. April 2007 die Stelle als Wohnbereichsleitung mit 40 Wochenstunden im Wohnbereich 4 habe besetzen sollen. Es hätten Stundenzettel geführt und eventuell anfallende Mehrstunden in den Folgewochen ausgeglichen werden sollen. Dafür sei ein Pauschalentgelt von monatlich 2.500,00 EUR gezahlt worden. Die Beigeladene zu 1) sei in den Dienstplänen der Klägerin geführt worden und habe auch in der Zeit vor der schriftlichen Vereinbarung nach Annahme eines Arbeitsauftrages weder die Arbeitszeit, den Arbeitsort oder die Art und Weise der Pflegetätigkeit selbst bestimmen können.
Die Klägerin hat am 3. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Schwerin erhoben. Das Sozialgericht Schwerin hat sich mit Beschluss vom 22. Februar 2011 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Itzehoe verwiesen. Das Sozialgericht Itzehoe hat mit Beschluss vom 12. Februar 2015 die Verfahren hinsichtlich der betroffenen 11 Pflegekräfte getrennt.
Die Klägerin hat in allen Verfahren gleichlautend vorgebracht, die Pflegekräfte seien hinsichtlich der Gestaltung ihrer Arbeitszeit frei gewesen. Vor Aufstellung des Dienstplanes sei angefragt worden, ob diese bereit seien, an einem Tag tätig zu sein. Erst wenn eine Einigung über die Einsatzzeit erzielt worden sei, seien die Personen in den Dienstplan aufgenommen worden. Bei Ablehnung der Arbeitsübernahme hätten sich keine negativen Konsequenzen für die Pflegekräfte ergeben. Die Aufnahme in den Dienstplan sei aus rein ordnungsrechtlichen Gründen notwendig gewesen, damit von ihr habe nachgewiesen werden können, dass eine ausreichende Anzahl von Pflegekräften in der Einrichtung vorhanden sei. Aus heimordnungsrechtlicher Sicht komme es nicht darauf an, ob die Pflegekräfte auf selbstständiger Basis oder in einem Arb...