Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Anrechnung von Nebeneinkommen aus selbstständiger Tätigkeit. Erarbeitungsprinzip. Ermittlung des Arbeitseinkommens. Gewinnermittlung nach Einkommenssteuerrecht. Einnahmenüberschussrechnung. anteilige Anrechnung. Zeitliche Kongruenz. Monatsprinzip. Rechtsanwaltsgebühren. Veranlagungszeitraum
Orientierungssatz
1. Bei der Anrechnung von Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit auf das Arbeitslosengeld gem § 141 SGB 3 kommt es auf den Zeitpunkt der Erarbeitung des Einkommens während des Leistungsbezugs an, wobei der tatsächliche Zufluss auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann.
2. Sind keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine zeitliche Zuordnung der Einkünfte vorhanden, erscheint es sachgerecht für die Ermittlung des Arbeitseinkommens auf die jährlichen Steuerergebnisse abzustellen, weil diese Betrachtungsweise dem Einkommensbegriff des § 15 SGB 4 am ehesten gerecht wird.
3. Wird die selbständige Tätigkeit nicht während des gesamten Veranlagungszeitraumes ausgeübt, ist das Einkommen mit dem Anteil anzusetzen, der während des Leistungsbezuges erarbeitet wurde. Maßgebend sind mithin die (anteiligen) Betriebseinnahmen und -ausgaben im Leistungszeitraum.
Normenkette
SGB III a.F. § 141 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 15; EStG §§ 4, 11; RVG §§ 8, 33
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 18. April 2012 aufgehoben, der Änderungsbescheid der Beklagten vom 20. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 26. Oktober 2010 abgeändert sowie der Erstattungsbescheid vom 20. Januar 2010 und der Erstattungsbescheid vom 28. Januar 2010 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 26. Oktober 2010 aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Berücksichtigung von Nebeneinkommen aus selbständiger Tätigkeit im Monat Dezember 2009.
Die 1976 geborene Klägerin war bis zum 24. April 2009 als Rechtsreferendarin im Landgerichtsbezirk I... beschäftigt. Am 26. November 2008 meldete sich die Klägerin arbeitsuchend sowie am 27. April 2009 zum 25. April 2009 persönlich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Dabei gab sie an, wegen der Betreuung ihres am 16. Juli 2006 geborenen Sohnes E... wöchentlich jeweils in der Zeit von 9.00 bis 13.30 Uhr arbeiten zu können. Mit Bescheid vom 6. Mai 2009 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 30. Mai 2009 und vom 23. Juni 2009 bewilligte die Beklagte Alg ab dem 25. April 2009 für 360 Kalendertage in Höhe von 7,90 EUR kalendertäglich. Nach Verlängerung der Kinderbetreuungszeiten stand die Klägerin von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr für Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung, so dass diese mit Änderungsbescheid vom 24. September 2009 Alg ab dem 8. September 2009 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 12,07 EUR, entsprechend einem monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 362,10 EUR bewilligte.
Mit Erklärung vom 15. Juni 2009 zeigte die Klägerin an, ab dem 16. Juni 2009 eine Nebentätigkeit als selbständige Rechtsanwältin von weniger als 15 Stunden wöchentlich aufzunehmen. Dazu reichte sie in der Folgezeit Erklärungen zur selbständigen Tätigkeit, Land- und Forstwirtschaft zur Akte.
Am 10. Januar 2010 nahm die Klägerin eine hauptberuflich selbständige Tätigkeit als Rechtsanwältin auf, für die die Beklagte einen Gründungszuschuss gewährte.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2010 teilte sie für den Monat Dezember 2009 positive Einkünfte in Höhe von 1.152,02 EUR brutto sowie Betriebsausgaben in Höhe von 393,36 EUR mit. Ausweislich des Steuerbescheides für das Jahr 2009 vom 23. August 2010 war das Einkommen der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit negativ.
Unter dem 20. Januar 2010 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer möglichen Überzahlung für den Monat Dezember 2009 an. Mit Änderungs- und Erstattungsbescheiden vom 20. Januar 2010 hob die Beklagte die Bewilligungsentscheidung für Dezember 2009 auf und forderte Leistungen in Höhe von 362,10 EUR zurück. Mit weiterem Bescheid vom 28. Januar 2010 forderte sie auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 110,72 EUR zurück.
Mit ihren dagegen am 16. Februar 2010 erhobenen Widersprüchen machte die Klägerin geltend, dass der Änderungsbescheid vom 20. Januar 2010 mangels hinreichender Begründung bereits formell rechtswidrig sei. Ferner seien die Leistungsvoraussetzungen im Dezember 2009 auch nicht entfallen, denn sie habe im Jahr 2009 keine positiven Einkünfte erzielt. Dazu verwies sie auf die beigefügte Einnahmen-überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) für das Kalenderjahr 2009 und machte weitere Betriebsausgaben (Fahrkosten, Steuern, Versicherungsbeiträge und Gebühren) geltend, so dass sich der Anrechnungsbetrag nach Abzug des Freibetrages auf 67,59 EUR mindere.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2010 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung ...