Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. kein unbefristeter Abschluss einer Leistungsvereinbarung gem § 75 Abs 3 SGB 12. Kündigung einer Leistungsvereinbarung. Fehlen einer wirksamen Leistungsvereinbarung. Weitergeltung der Vergütungsvereinbarung
Orientierungssatz
1. Nach dem Wortlaut von § 93 Abs 2 und § 93b Abs 1 S 1 Halbs 1 BSHG bzw § 75 Abs 3 und § 77 Abs 1 S 1 Halbs 1 SGB 12 ist davon auszugehen, dass auch dann, wenn Leistungsvereinbarungen und Prüfungsvereinbarungen in aller Regel eine längere Laufzeit als Vergütungsvereinbarungen haben, erstere nicht unbefristet abgeschlossen werden können.
2. Mit Ausnahme der Fälle des § 93b Abs 3 BSHG bzw § 77 Abs 3 SGB 12 und des § 93c S 1, 2 und 3 iVm § 59 SGB 10 ist die Kündigung einer Leistungsvereinbarung vom Gesetzgeber nicht zugelassen.
3. Das Fehlen einer wirksamen Leistungsvereinbarung hat die Folge, dass auch die Vergütungsvereinbarung nicht weitergilt (§ 93b Abs 2 S 4 BSHG bzw § 77 Abs 2 S 4 SGB 12).
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsgegner trotz Kündigung einer Leistungsvereinbarung im Sinne des § 93 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) weiterhin daran gebunden ist.
Die Antragstellerin betreibt am Standort B. Einrichtungen der Behindertenhilfe, darunter eine Schule, eine Förderstätte sowie das hier streitgegenständliche Wohnheim mit 38 Plätzen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die in der Regel am selben Ort die Schule besuchen und im Heim Hilfe bei allen täglichen Verrichtungen, Einzelzuwendung, Einzelbetreuung und Erziehung erhalten. Für diesen Einrichtungsteil (Leistungstyp A.1.2.2) schlossen die Beteiligten wiederholt Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen im Sinne von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG ab, zuletzt am 29. Dezember 2003, wobei ausschließlich für die Vergütungsvereinbarung (dort Entgeltvereinbarung genannt) eine Laufzeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2005 vereinbart wurde.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2004 kündigte der Antragsgegner die vorgenannte Leistungsvereinbarung zum Ablauf der Geltungsdauer der Vergütungsvereinbarung. Zur Begründung wurde ausgeführt, die vereinbarten Stellenschlüssel seien - zumindest im Gruppendienst - mehr oder weniger willkürlich aus Koeffizienzziffern ermittelt worden. Dieses System entspreche nicht mehr dem seit 1. Juli 2004 geltenden Rahmenvertrag gemäß § 93d BSHG, wonach bedarfsgerechte Stellenschlüssel in den einzelnen Hilfebedarfsgruppen zu vereinbaren seien. Die bestehende Leistungsvereinbarung solle deshalb nicht fortgeführt werden.
Mit Schreiben vom 25. November 2005 teilte der Antragsgegner sinngemäß mit, er beabsichtige aufgrund seiner zu Kosteneinsparungen nötigenden Haushaltslage die Neuverhandlung der Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen mit dem einen Ziel, dass eine Betreuung von fünf Tagen pro Woche in der Regel und eine Betreuung von sieben Tagen pro Woche nur dann zu vergüten wäre, wenn das aufgrund einer Einzelfallprüfung erforderlich sei. Zum anderen wurden die Unterschiede bei den Vergütungssätzen für Kinder in Höhe von 120,00 Euro täglich und Jugendlichen in Höhe von 150,00 Euro täglich in Frage gestellt. Diese seien mit einem entsprechenden Betreuungsaufwand nicht zu begründen. Falls ab dem 1. April 2005 keine neue Vereinbarung zustande komme, liefen die bestehenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen inhaltsgleich weiter, jedoch längstens bis zum 31. August 2006. Ab diesem Zeitpunkt erfolge die Kostenübernahme nach Maßgabe des § 75 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).
Auf den sich daran anschließenden Schriftverkehr, in dem die Antragstellerin im Wesentlichen dem Ansinnen des Antragsgegners widersprach, Änderungen bei dem System der Vergütungen herbeizuführen, und dieser darauf hinwies, dass zumindest nach den über § 61 Satz 2 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch (SGB X) anwendbaren Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Möglichkeit bestehe, die Vereinbarung ordentlich zu kündigen mit der Wirkung, dass ab dem 1. September 2006 der von § 75 Abs. 4 SGB XII vorausgesetzte vertragslose Zustand herrsche, wird Bezug genommen.
Am 12. Juni 2006 beantragte die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten bei dem Sozialgericht Augsburg, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorbehaltlich der Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, die Leistungsvereinbarung vom 29. Dezember 2003 betreffend Eingliederungshilfe für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in vollstationären Einrichtungen ohne tagesstrukturierende Angebote (Leistungstyp A.1.2.2) für das Wohnheim in B. weiter als wirksam zu behandeln.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, die ordentliche Kündigung von Vereinbarungen im Sinne von §§ 75 Abs. 3 SGB XII sei im Gesetz nicht geregelt. Soweit sie überhaupt möglich sei, müsse sie der Träger der Sozialhilfe ermessensfehlerfrei begründen, ansonsten sei sie unwirksam. Denn zugunsten des Einrichtungsträgers bestehe hinsichtlich des Abschlusses einer Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 S...