Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit. Fortwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Bescheinigung der Arbeitsagentur über unfreiwillige bzw hier freiwillige Arbeitslosigkeit. keine Verwaltungsakteigenschaft. Bindungswirkung für Grundsicherungsträger
Leitsatz (amtlich)
1. Nur für den Personenkreis Leistungsberechtigter nach dem SGB III oder SGB II-Leistungsberechtigte, für die die Agentur für Arbeit (AA) Eingliederungsleistungen gemäß § 22 Abs 4 SGB III erbringt, ist die Unfreiwilligkeitsbescheinigung der AA konstitutive und die Jobcenter bindende Leistungsvoraussetzung für die SGB-II-Leistungen.
2. Die an der Sperrzeitregelung des § 159 SGB III orientierten Prüfkriterien der AA entsprechen nicht dem europarechtlichen Begriff der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit.
3. Europarechtskonform ist § 2 Abs 3 S 2 FreizügG (juris: FreizügG/EU 2004) so auszulegen, dass die Bestätigung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit für Personen, die noch keinen Arbeitslosengeldanspruch erworben haben, auch vom zuständigen Jobcenter im Rahmen der Prüfung des Alg-II-Anspruchs erfolgen kann, weil allein das Jobcenter für die Arbeitsvermittlung zuständig ist und hierüber prüft, ob sich die Antragsteller dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die von der Beklagten erteilte Bescheinigung über die Unfreiwilligkeit bzw. hier die Freiwilligkeit der Arbeitslosigkeit des Klägers zur Erlangung eines SGB II-Leistungsanspruchs auf einer zutreffenden Beurteilung der Umstände der Kündigung beruht.
Der Kläger ist rumänischer Staatsbürger. Er reiste laut eigener Angabe im Juli 2014 ins Bundesgebiet ein.
Im November 2018 beantragte er für sich, seine ebenfalls aus Rumänien stammende Ehefrau sowie die vier gemeinsamen Kinder SGB II-Leistungen.
Eine vom Kläger ausgeübte Beschäftigung bei der Fa. D… war im März 2018 betriebsbedingt beendet worden. Im November 2018 war der Kläger bei bestehender Wohnungslosigkeit noch arbeitslos.
Den Alg II-Antrag hatte der Beigeladene daher unter Verweis auf den Status als bloß Arbeitsuchender EU-Bürger nach Ablauf der 6-monatigen Suchfrist auf die im März 2018 vom früheren Arbeitgeber herbeigeführte Arbeitslosigkeit abgelehnt (Bescheid vom 21.11.2018).
Im Verlauf des gegen den Bescheid vom 21.11.2018 gerichteten Widerspruchsverfahrens nahm der Kläger am 17.12.2018 eine Beschäftigung bei der Fa. XX Personaldienste auf, die zu einer vorläufigen Leistungsbewilligung ab 17.12.2018 bis Ende Mai 2019 führte (Bescheid vom 1.2.2019).
Zum 8.2.2019, hilfsweise zum 16.2.2019 kündigte der Arbeitgeber fristlos, woraufhin der Kläger vom Beigeladenen aufgefordert worden war, eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit (AA), dass die Arbeitslosigkeit unfreiwillig eingetreten ist, beizubringen. Leistungen wurden vorläufig noch bis Mai 2019 bewilligt (Änderungsbescheid vom 21.3.2019), die Auszahlung aber einstweilen nach § 331 SGB III gestoppt (Schreiben an den Kläger vom 21.3.2019).
Am 29.3.2019 legte der Kläger die geforderte Bescheinigung der AA vom 27.3.2019 vor, die eine Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit unter Bezugnahme auf die Arbeitsbescheinigung der Fa. XX nicht bestätigte.
Der Beigeladene verfügte daher mit Bescheid vom 10.4.2019 eine Ablehnung des Antrags vom 1.12.2018 - dies bezieht sich auf die Arbeitsaufnahme im Dezember 2018 - für die Zeit ab 1.4.2019; der Kläger verfüge wegen der freiwilligen Verlustes der Beschäftigung bei der Fa. XX nur noch über den Status eines Arbeitsuchenden EU-Bürgers, der von SGB II-Leistungen ausgeschlossen sei.
Mit weiterem Bescheid vom 17.4.2019 lehnte der Beigeladene SGB II-Leistungen seit Eintritt der Arbeitslosigkeit am 8.2.2019 ab.
Gegen beide Bescheide erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er u.a. einwandte, die Arbeit nicht freiwillig verloren zu haben.
Zuvor hatte der Kläger auch die Bescheinigung der AA zur Unfreiwilligkeit bzw. Freiwilligkeit der Arbeitslosigkeit mit einem Widerspruch angefochten, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9.4.2019 als unzulässig verwarf; bei der Bescheinigung vom 27.3.2019 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt.
Die flankierend zur Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 9.4.2019 erhobene Klage gegen den Beigeladenen auf Bewilligung von SGB II-Leistungen über den 8.2.2019 hinaus ist nach abschlägigem Urteil in erster Instanz noch beim Landessozialgericht anhängig, das das Berufungsverfahren in der Annahme einer Bindung des Beigeladenen an die Bescheinigung der AA vom 27.3.2019 ausgesetzt hat.
Mit hiesiger Klage macht der Kläger geltend, angesichts der Bedeutung der Bescheinigung für einen SGB II-Leistungsanspruch beinhalte diese eine Regelung mit Außenwirkung, zumindest müsse es möglich sein, gegen die Beurteilung der AA eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit feststellen zu lassen.
Die Unfreiwillig...