Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Rechtsschutzbedürfnis. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsverwaltungsakt. späterer Sanktionsbescheid. Rechtmäßigkeitsprüfung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Es besteht prinzipiell ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 SGB II eingelegten Rechtsbehelfs, unabhängig davon, ob bereits ein Sanktionsbescheid ergangen ist.
2. Ein Widerspruch entfaltet auch dann aufschiebende Wirkung, wenn ein Widerspruchsbescheid ergangen ist und Klage hiergegen erhoben wurde, sodass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, nicht aber eine solche der Klage anzuordnen ist.
3. Zur Rechtmäßigkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes nach § 15 SGB II.
4. Zur Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides (§§ 31ff SGB II) und einer Aufhebung (§ 40 Abs 1 S 1 SGB II, § 48 SGB X).
Orientierungssatz
§ 15 SGB 2 ist verfassungsgemäß.
Tenor
1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Verwaltungsakt, der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt, sowie gegen einen anschließend ergangenen Sanktions- und Aufhebungsbescheid.
Der Antragsteller erhält laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).
Im Rahmen eines Arbeitsvermittlungsgespräches am 27. Mai 2016 änderte die für den Antragsteller zuständige Arbeitsvermittlerin, Frau B., dessen "Profiling", indem sie bislang vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen als nicht relevant einstufte, als besondere Stärken die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann (2000 bis 2003) mit Abschluss, einen mittleren Bildungsabschluss sowie Russischkenntnisse hinzufügte und die Profillage auf "Stabilisierungsprofil" wechselte. Festgelegt wurde hierbei zudem, dass das gemeinsame Ziel die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt lokal sei. Der Antragsteller erklärte in diesem Zusammenhang, keine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben zu wollen, woraufhin ihn Frau B. darüber informierte, dass in diesem Fall ein Verwaltungsakt ergehen werde.
Anschließend erließ der Antragsgegner durch Frau B. noch am 27. Mai 2016 einen Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II für den Zeitraum 27. Mai 2016 bis 26. November 2016. Hierin wird unter anderem geregelt, dass der Antragsgegner den Antragsteller durch Vermittlungsvorschläge, Übernahme von Bewerbungskosten und Fahrkosten, Erstattung von Kosten für Pendelfahrten und Arbeitskleidung, Aushändigung eines Aktivierungs- und Vermittlungsgutscheins sowie Zahlung eines Eingliederungszuschusses an einen künftigen Arbeitgeber bei Erfüllung näher aufgeführter Voraussetzungen unterstützt. Der Antragsteller habe demgegenüber mindestens vier ernsthafte Bewerbungsbemühungen monatlich nachzuweisen und sich auf Vermittlungsvorschläge des Antragsgegners zu bewerben. Wegen des genauen Inhalts der Regelungen und der abschließenden Rechtsfolgenbelehrung wird auf den Eingliederungsverwaltungsakt vom 27. Mai 2016 Bezug genommen.
Ebenfalls am 27. Mai 2016 übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller einen Vermittlungsvorschlag für eine Vollzeit-Tätigkeit als Mitarbeiter bei der Firma C. für den Bereich Kasse und Verkauf mit der Bitte, sich dort umgehend zu bewerben. Wegen des Inhalts und der abgedruckten Rechtsfolgenbelehrung wird auf den Vermittlungsvorschlag vom 27. Mai 2016 Bezug genommen.
Gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 27. Mai 2016 legte der Antragsteller unter dem 4. Juni 2016 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass er in seiner Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) verletzt werde.
Bei der Firma C. bewarb sich der Antragsteller nicht. Daher hörte ihn der Antragsgegner mit Schreiben vom 15. Juni 2016 zu einer beabsichtigten Sanktion in Höhe von 30 % des maßgeblichen Regelbedarfes (121,20 € monatlich) für drei Monate an.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2016 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für Juli bis Dezember 2016 in Höhe von 802,69 € monatlich.
Mit Bescheid vom 18. Juli 2016 stellte der Antragsgegner fest, dass das Arbeitslosengeld II des Antragstellers nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 31a Abs. 1 und § 31b SGB II für die Zeit von August bis Oktober 2016 um monatlich 30% des maßgeblichen Regelbedarfes (121,20 €) gemindert werde, weil er sich nicht bei der Firma C. beworben habe. Der vorangegangene Bewilligungsbescheid werde insoweit nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) aufgehoben.
Hiergegen erhob der Antragsteller unter dem 22. Juli 2016 Widerspruch. Zur Begründung legte er dar...