Rz. 5
Abs. 1 Satz 1 verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen nunmehr dazu, in ihren Satzungen Leistungen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken (primäre Prävention) sowie zur Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns der Versicherten (Gesundheitsförderung) vorzusehen. Gleichzeitig beinhaltet die Norm eine Legaldefinition dieser Begriffe. Die Krankenkasse hat dabei gemäß Abs. 1 Satz 3 die Handlungsfelder und Kriterien nach Abs. 2 zugrunde zu legen. Primäres Ziel ist die Aktivierung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung. Hingegen sind die Krankenkassen in der Gestaltung der Leistungen innerhalb des ihnen zustehenden insbesondere nach §§ 20 bis 20b eingeräumten Ermessensspielraum frei. Insbesondere ist in diesem Rahmen die Zusammenarbeit einer Krankenkasse mit Dritten, die bestimmte Waren oder Dienstleistungen anbieten, und die Werbung damit zulässig. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich sachlich und nach dem personellen Zuschnitt um gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehene Leistungen der jeweiligen Krankenkasse, z. B. in Form einer Übersicht über alle oder alle von ihr zu einem Themenbereich angebotenen Präventionskurse i. S. v. § 20 handelt (BSG, Urteil v. 30.7.2019, B 1 KR 16/18 R, Rz. 21).
Die Sekundärmaßnahmen (Sekundärprävention) zur Früherkennung von Krankheiten (z. B. die Früherkennungsuntersuchungen, §§ 25, 26) weisen gegenüber den Primärmaßnahmen zur Verhütung von Erkrankungen wie auch gegenüber den Maßnahmen der Krankenhilfe einen grundsätzlichen Unterschied auf. Sie sind rein diagnostischer Natur und als solche nicht auf Änderung des festgestellten Zustandes des Versicherten gerichtet (in diesem Sinn bereits BSGE 51 S. 115, 117).
Rz. 6
Durch die primäre Prävention soll die Eigenverantwortung und die Souveränität der Bürger und Bürgerinnen im Umgang mit ihrer Gesundheit gestärkt werden. Die Primärprävention, die sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventiv ausgerichtet sein kann, dient dazu, den Eintritt eines gesundheitlichen Schadensfalls durch gezielte Maßnahmen zu verhindern oder zu verzögern. Maßnahmen der Primärprävention sollen den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere die wissenschaftlich belegte geringe Inanspruchnahme entsprechender Leistungen durch sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen fördern. Damit tragen die Krankenkassen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und Möglichkeiten zu mehr Chancengleichheit bei der Gesundheit bei. Als wichtige Zielgruppe werden dabei Kinder und Jugendliche besonders berücksichtigt.
Insbesondere sind im Rahmen der anzustrebenden Verminderung sozial bedingter Ungleichheiten ausdrücklich auch geschlechtsbezogene Aspekte (vgl. § 2b) zu berücksichtigen (Abs. 1 Satz 2). Der durch das KJSG (vgl.. Rz. 3f) in Abs. 1 Satz 2 angefügte Halbsatz fordert nun auch die angemessene Berücksichtigung der besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen. Durch diese Ergänzung altersspezifischer Besonderheiten soll erreicht werden, dass die Krankenkassen auch den spezifischen altersabhängigen Erfordernissen bei der Versorgung ihrer Versicherten ausreichend Rechnung tragen (BT-Drs. 19/26107 S. 124).
Darüber hinaus verlangt § 2a, dass den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen ist. Dementsprechend ist auf eine barrierefreie Leistungserbringung unter Beachtung von § 17 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 SGB I hinzuwirken. Weitere Zielgruppe sind Personen, deren berufliche Eingliederung aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen besonders erschwert ist. Auch die Gruppe der Migrantinnen und Migranten ist nach dem Willen des Gesetzgebers eine der Zielgruppen, die mit Leistungen zur primären Prävention und Gesundheitsförderung zu erreichen sind (Begründung in BT-Drs. 18/4282 S. 33).
Rz. 7
Aus Abs. 1 lassen sich keine konkreten gesetzlichen Vorgaben ableiten. Der Gesetzgeber geht allerdings insofern davon aus, dass die Wirksamkeit eines Präventionsverfahrens nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin belegt wird (BT-Drs. 14/2145 S. 62).
Im Rahmen des Anspruches auf Präventionsleistungen besteht auch vor dem Hintergrund des § 20 SGB V kein Anspruch auf Dauerbesuch eines (nicht zertifizierten) Fitnessstudios. Es fehlt bei dem Besuch eines Fitnessstudios an der krankheitsbezogenen Ausrichtung der dort angebotenen Körperbetätigung, an den Motivationsansätzen und insbesondere an den Ansätzen zur Verhaltensänderung nach der Inanspruchnahme der Fitnessleistungen (Bay. LSG, Urteil v. 27.10.2009, L 5 KR 347/09). Dies kann allerdings bei Annahme der von § 25 beschriebenen Voraussetzungen nach präventivmedizinischen Gesichtspunkten z. B. im Rahmen einer Präventionsempfehlung (vgl. dort insbesondere Rz. 7c) anders zu beurteilen sein.