Rz. 8
Aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls ermöglicht Abs. 2 Satz 1 den Landesverbänden der Pflegekassen im Einvernehmen mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe eine fristlose Kündigung des Versorgungsvertrages nur für den Fall, dass die Pflegeeinrichtung ihre gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen derart gröblich verletzt, dass ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar ist. Generell beurteilt sich die Gröblichkeit einer Pflichtverletzung nach dem Gewicht, der Dauer und der Intensität der Pflichtverletzung (vgl. hierzu für den KV-Bereich SG Hamburg, Beschluss v. 5.9.2008, S 48 KR 1002/08 ER).
Als Beispiele für eine gröbliche Pflichtverletzung als denkbare Auslöser für die Unzumutbarkeit einer Vertragsfortsetzung im Sinne des Abs. 2 Satz 1 führt Satz 2 der Vorschrift Pflichtverletzungen an, die einen Angriff auf Leib und Leben der Pflegebedürftigen (z. B. Misshandlungen der Pflegebedürftigen durch Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung) oder auf die vermögenswerten Rechte der Kostenträger (z. B. Abrechnungsbetrug, Verletzung von Dokumentationspflichten zu Zwecken der Falschabrechnung, Diebstahl) bedeuten. Gleiches gilt nach Satz 3, wenn dem Träger eines Pflegeheimes nach den heimrechtlichen Vorschriften die Betriebserlaubnis entzogen oder der Betrieb des Heimes untersagt wird. Bei diesen für eine fristlose Kündigung angeführten gesetzlichen Beispielen handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG allerdings nicht um fingierte Kündigungsvoraussetzungen, sondern lediglich um einen Vergleichsmaßstab im Rahmen der bei Kündigung vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. hierzu grundlegend BSG, Urteil v. 12.6.2008, B 3 P 2/07 R auch unter Hinweis auf BT-Drs. 12/5262 S. 138). So hat nach höchstrichterlicher Rechtsprechung schon bei Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung als einer der beiden wesentlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine fristlose Kündigung – und damit nicht erst im Rahmen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung (vgl. Rz 10 und 12) – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen, welche die Interessen der Versichertengemeinschaft und der Pflegeeinrichtung an der Fortsetzung bzw. an der Beendigung des Vertragsverhältnisses angesichts einer gröblichen Pflichtverletzung zu bewerten hat. Zudem gilt es für die Beurteilung der Frage der Unzumutbarkeit des Festhaltens an einem Vertragsverhältnis infolge gröblicher Pflichtverletzung daneben auch das Übermaßverbot zu beachten. Hiernach kommt eine Kündigung des Versorgungsvertrages (zumal als fristlose) als Ultima-Ratio-Maßnahme für die Landesverbände der Pflegekassen nur in Betracht, wenn nicht andere, mildere Mittel vorhanden sind, auf Vertragsverletzungen zu reagieren (vgl. BSG, a. a. O.).