Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags ist bei Vorliegen der in § 5 Abs. 1 TVG genannten Voraussetzungen zulässig. Danach kann ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn sie im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Dies ist in der Regel der Fall, wenn
- der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen überwiegende Bedeutung erlangt hat oder
- die Absicherung der Wirksamkeit der tarifvertraglichen Normsetzung gegen die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklung eine Allgemeinverbindlicherklärung verlangt.
Diese erleichterten Voraussetzungen wurden 2014 durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie eingeführt. Das früher erforderliche Mindestquorum von 50 % der unter den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer bei den tarifgebundenen Arbeitgebern wurde mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz aufgegeben. Erforderlich ist ein gemeinsamer Antrag der Tarifvertragsparteien.
Für die Frage, ob die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse liegt, kommt es entscheidend darauf an, ob der Tarifvertrag für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in der Branche eine überwiegende Bedeutung hat. Maßgeblich sind hierfür die Tarifbindung, Bindungen an den Tarifvertrag durch Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen, Anerkennungstarifverträge sowie die Einschätzung, ob der Tarifvertrag Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen abwenden kann.
Daneben setzt die Allgemeinverbindlicherklärung das Bestehen eines wirksamen Tarifvertrags voraus. Sein Inhalt darf nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht (Gemeinschaftsrecht, Grundgesetz, zwingendes Gesetzesrecht) nichtig sein. Die Allgemeinverbindlicherklärung heilt nicht bestehende inhaltliche Mängel des Tarifvertrags. Auch ein Verstoß gegen formelles Recht darf nicht vorliegen. So müssen insbesondere das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG gewahrt und der Geltungsbereich des Tarifvertrags von der Tarifzuständigkeit der vertragsschließenden Verbände umfasst sein. Bei der Allgemeinverbindlicherklärung von bereits beendeten und nur noch nachwirkenden Tarifverträgen darf die Nachwirkung von den Tarifvertragsparteien im Tarifvertrag nicht ausgeschlossen sein.
Für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die gemeinsame Einrichtungen schaffen und regeln, hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1a besondere Voraussetzungen geschaffen. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit einer gemeinsamen Einrichtung kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Tarifausschuss auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag, der die Einziehung von Beiträgen und die Gewährung von Leistungen durch diese gemeinsame Einrichtung im Hinblick auf die folgenden Gegenstände für allgemeinverbindlich erklären: Erholungsurlaub, Urlaubsgeld, zusätzliches Urlaubsgeld, betriebliche Altersversorgung, Vergütung der Auszubildenden, Ausbildung in überbetrieblichen Bildungsstätten, zusätzliche betriebliche oder überbetriebliche Vermögensbildung, Lohnausgleich bei Arbeitszeitausfall, Arbeitszeitverkürzung oder Arbeitszeitverlängerung. Der Tarifvertrag kann alle mit dem Beitragseinzug und der Leistungsgewährung in Zusammenhang stehenden Rechte und Pflichten einschließlich der dem Verfahren zugrunde liegenden Ansprüche der Arbeitnehmer und Pflichten der Arbeitgeber regeln. Im Übrigen gelten die sonstigen formellen Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung. Geht es um andere Regelungsgegenstände, gelten die allgemeinen Voraussetzungen für eine Allgemeinverbindlicherklärung.
Neben dem Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Einrichtung durch den Tarifvertrag verlangt § 5 Abs. 1a auch das Bestehen eines öffentlichen Interesses für die beantragte Allgemeinverbindlicherklärung. Das öffentliche Interesse besteht nach der gesetzlichen Regelung allerdings grundsätzlich und kann nur dann verneint werden, wenn besonders gewichtige Umstände oder überragende entgegenstehende Interessen gegen den Erlass der Allgemeinverbindlicherklärung sprechen.
Eine solche Situation könnte nach dem Bundesarbeitsgericht z. B. gegeben sein, wenn ein wenig repräsentativer Tarifvertrag über eine gemeinsame Einrichtung für allgemeinverbindlich erklärt werden soll, der sich in der Praxis noch nicht bewährt hat und bei dem auch nicht erkennbar ist, dass ein branchenbezogener Anspruchserwerb erforderlich ist, weil der einzelne Arbeitgeber solche Leistungen nicht erbringen kann.
Materielle wie formelle Fehler im Normsetzungsverfahren führen zur Nichtigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung.