Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung einer Näherin für medizinische Produkte wegen verweigerter Unterschrift unter die Tatsachfeststellung der Qualitätsbeauftragten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung kann einen Grund zur Lösung des Arbeitsverhältnisses hergeben. Bei der Nichtbefolgung einzelner Aspekte der Arbeitsverrichtung, wie sie aus einer konkreten und unter Umständen wiederholten Ausübung des Direktionsrecht zu entspringen vermag, setzt ein wichtiger Grund eine erkennbar bewusste und nachhaltige Weigerung voraus.

2. Die kündigungsrechtlichen Konsequenzen der Nichtbefolgung einer Weisung der Arbeitgeberin hängt davon ab, ob die Weisung wirksam ist oder nicht. Eine arbeitsvertragswidrige Weigerung liegt nur dann vor, wenn die Arbeitnehmerin verpflichtet ist, die ihr zugewiesene Handlung vorzunehmen.

3. § 106 GewO bindet die Ausübung des Direktionsrechts (wie § 315 Abs. 3 BGB) an billiges Ermessen. Damit muss die Anordnung den beiderseitigen Interessen Genüge tun.

4. Eine Qualitätssicherung, die eine an Fehlproduktionen beteiligte Beschäftigte zwingt, die Tatsachenfeststellung der Qualitätsbeauftragten mit ihrer Unterschrift bestätigend “abzusegnen„, steht im Widerspruch zu dem fundamentalen Interesse der Arbeitnehmerin, sich hinsichtlich der Ursachenfeststellung ein eigenes Urteil zu bilden.

5. Soweit Kenntnis und Analyse einer Fehlproduktion vor dem Hintergrund gleich bleibender Abläufe zur Vermeidung des gleichen Fehlers in Zukunft beitragen kann, bedarf es keiner Unterschrift der Mitarbeiterin unter die Tatsachenfeststellung der Qualitätsbeauftragten. Es reicht aus, wenn die Mitarbeiterin lediglich bestätigt, bei der Schadensfeststellung gehört zu sein und die Wertung des Qualitätsbeauftragten zur Kenntnis genommen zu haben, da unter diesen Umständen Analyse und Dokumentation gesichert sind, die Mitarbeiterin aber zugleich die Möglichkeit hat, sich eine abweichende Sicht oder Wertung vorzubehalten.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; GewO § 106

 

Verfahrensgang

ArbG Gera (Entscheidung vom 27.04.2016; Aktenzeichen 7 Ca 238/15)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 27.4.2016 - 7 Ca 238/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, im Zeitpunkt des Zugangs der Gestaltungserklärung noch Mitglied des Betriebsrates, wehrt sich gegen eine auf angebliche Verstöße gegen die Umsetzung des Qualitätsmanagements gestützte Kündigung der Beklagten. Die Beklagte sieht Dokumentationsfehler und Verweigerung.

Die Klägerin, Jahrgang 1964, ist seit 2003 bei der Beklagten, einem mittelständischen Unternehmen mit ca. 100 Mitarbeitern, als Näherin für zuletzt mtl. 1.503,00 EUR beschäftigt. Sie ist verheiratet und Mutter eines Kindes. Jedenfalls von 2013 bis 2015 war die Klägerin Vorsitzende des Betriebsrates, seit Juni 2015 ist sie einfaches Mitglied.

Die Beklagte produziert medizinische Hilfsmittel. Dabei ist die Qualitätssicherung in der Produktion ein wesentlicher Marktfaktor. So hat sich die Beklagte gegenüber ihren Großkunden vertraglich verpflichtet, auf der Grundlage der RL 93/42 EG ein Qualitätsmanagement durchzuführen (bez. Bort GmbH Vertrag 9-12/17.12.2002 Blatt 72 GA; bez. StreifenederOrtho-Productions GmbH Vertrag aus 2007 Blatt 75 ff. GA). Zur Konkretisierung der Anforderungen wurde u. a. die DIN EN ISO 9001 zugrunde gelegt und einer weiteren Umsetzung in Form eines für die Beklagte verbindlichen "Qualitätsmanagement Handbuchs" (Anlage B 4 Blatt 125 GA) unterzogen. Während die ISO 9001 in der Einleitung (01. Allgemeines) den Anwendern noch Spielräume eröffnet, formulieren die Bestimmungen des firmeneigenen Handbuchs den ins Detail heruntergebrochenen Standard und sind für "alle Vorgesetzten und Mitarbeiter uneingeschränkt verbindlich." (Kapitel 1, Blatt 132 GA). Im Hinblick auf die Dokumentation legt das Handbuch Rollen und Aufgaben fest:

"Der QMB (Qualitätsmanagementbeauftragte) ist zuständig für

- die Festlegung der übergeordneten Verfahren zur Lenkung der Qualitätsaufzeichnungen

- die Erstellung, Änderung, Verteilung, Aufbewahrung und Archivierung der Aufzeichnungen, ...

Der Ersteller bestätigt die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der Aufzeichnung durch Unterschrift und Datum." (Kapitel 4 QMB Blatt 149 GA).

Im Hinblick auf die Lenkung fehlerhafter Produkte (Kapitel 8.3 Blatt 207 GA) heißt es weiter:

"Es gehört zur Verantwortung eines jeden Mitarbeiters unserer Firma, festgestellte Qualitäts- und andere Abweichungen von den Vorgaben festzustellen, die weitere Bearbeitung zu unterbinden, ... von der Abweichung zu informieren und an der hierzu erforderlichen Dokumentenfeststellung vollumfänglich mitzuwirken."

Die Beklagte hat sich der Überprüfung des Qualitätsmanagements unterworfen. Ein Auditbericht der DEKRA vom 25.11.2013 empfiehlt die Aufrechterhaltung der Zertifizierung für die Beklagte, moniert aber unter anderem, die Ursachenanalyse bei fehlerhafter Produktion sei...

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