Rz. 672

Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, den Begriff der betrieblichen Erfordernisse legal zu definieren. Nach einhelliger Auffassung muss aber im Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist ein Arbeitskräfteüberhang bestehen. Aufgrund eines Organisationskonzepts des Arbeitgebers hinsichtlich der zu verrichtenden Tätigkeit müssen mehr Arbeitnehmer vertraglich angebunden sein, als die zur Verfügung stehende Arbeitsmenge ausmacht.[1] Die Kündigung ist daher nur die Reaktion auf eine Verringerung des Arbeitsvolumens und den damit einhergehenden Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie gründet auf einer Unternehmerentscheidung und der korrespondierenden personalrelevanten Umsetzung.

Diese Differenzierung ist für die gerichtliche Kontrolldichte einer betriebsbedingten Kündigung elementar. Das hinter einer Kündigung stehende unternehmerische Konzept wird grds. nicht infrage gestellt, sondern allenfalls einer Missbrauchskontrolle unterzogen.[2] Vielmehr unterliegt nur die Kündigung selbst einer gerichtlichen Kontrolle. Zu überprüfen ist damit insbesondere, durch welche Maßnahmen das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen ist und ob nicht doch eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung besteht.[3]

[1] BAG, Urteil v. 1.6.2023, 2 AZR 150/22, Rz. 39; BAG, Urteil v. 28.2.2023, 2 AZR 227/22, Rz. 13; BAG, Urteil v. 14.5.2020, 6 AZR 235/19, Rz. 90; BAG, Urteil v. 16.5.2019, 6 AZR 329/18, Rz. 39; KR/Rachor, § 1 KSchG Rz. 552; APS/Kiel, 7. Aufl. 2024, § 1 KSchG Rz. 467; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 220.

4.2.1.1 Unternehmerische Entscheidung

4.2.1.1.1 Unternehmerische Entscheidungen – Gestaltungsebene

 

Rz. 673

Jeder Kündigung geht zwangsläufig eine konzeptionelle unternehmerische Entscheidung voraus, die Auswirkungen auf die Entwicklung des Personalbedarfs hat, denn auch umgekehrt korreliert jede Beschäftigungsmöglichkeit mit der unternehmerischen Entscheidung, eine bestimmte Tätigkeit durch abhängig beschäftigte Arbeitnehmer ausführen zu lassen.[1] Das Erfordernis für eine Kündigung entsteht somit nicht allein und unmittelbar durch wirtschaftliche oder technische Entwicklungen, sondern erst durch die dadurch veranlasste Entscheidung des Arbeitgebers, sodass die unternehmerische Entscheidung im Mittelpunkt der Betrachtung stehen muss.[2] Der Arbeitgeber trifft etwa aufgrund konjunktureller, saisonaler oder branchenspezifischer Einflüsse eine Entscheidung, die sich letztlich auf die Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb auswirkt und den Beschäftigungsbedarf für einzelne Arbeitnehmer entfallen lässt. Diese Entscheidung begründet ein dringendes betriebliches Erfordernis i. S. d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.[3]

Der Wegfall einer Beschäftigungsmöglichkeit für einen Arbeitnehmer ohne Willensakt des Arbeitgebers ist nicht denkbar. Es ist deswegen auch rechtlich nicht notwendig, zwischen innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Gründen zu unterscheiden.[4] Diese Differenzierung ist vielmehr deskriptiv und dient der systematischen Erfassung.[5]

Der Kündigungsentschluss selbst ist dagegen mangels Einbindung in ein unternehmerisches Konzept kein innerbetrieblicher Grund und keine abstrahierte unternehmerische Entscheidung, die eine soziale Rechtfertigung nach dem Kündigungsschutzgesetz bewirken könnte.[6]

 

Rz. 674

Die unternehmerische Entscheidung wird im Ansatzpunkt von den Gerichten nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin überprüft. Es kommt nach dem geltenden Recht nicht darauf an, ob die den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung ihrerseits, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, "dringend" war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre.[7] Es ist deswegen nicht Sache der Gerichte, dem Arbeitgeber eine "bessere" oder "zielführendere" betriebliche Organisation vorzuschreiben oder die Stichhaltigkeit der Erwägungen des Arbeitgebers zu prüfen. Dementsprechend kann das Kündigungsschutzgesetz den Arbeitgeber auch nicht dazu verpflichten, betriebliche Organisationsstrukturen oder Standorte beizubehalten und geplante Änderungen nicht durchzuführen.[8]

Der Arbeitgeber trägt das wirtschaftliche Risiko für die zweckmäßige Einrichtung und Gestaltung des Betriebs. Zum wesentlichen Inhalt der grundrechtlich durch Art. 12, Art 14 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gehört deswegen gerade auch die Freiheit zur Gestaltung der betrieblichen Organisation. Die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation ist somit mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei.[9] Entsprechend ist der Arbeitgeber berechtigt, seine betrieblichen Aktivitäten zu gestalten, einzuschränken oder bestimmte bisher in seinem Betrieb verrichtete Arbeiten an Dritte fremd zu vergeben.[10] Hierzu...

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