Rz. 690

Das Kündigungsschutzgesetz ist betriebsbezogen. Das gilt insbesondere für die dringenden betrieblichen Erfordernisse und die Sozialauswahl. Für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund der unternehmerischen Entscheidung sind daher die Verhältnisse im Betrieb entscheidend. Davon zu trennen ist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG die Frage, ob der Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann.[1]

Dabei gilt als Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Zur Auslegung des dem Kündigungsschutzgesetz zugrunde liegenden Betriebsbegriffs können somit die allgemeinen Grundsätze herangezogen werden, wie sie im Betriebsverfassungsrecht entwickelt worden sind.[2]

Die Sonderregelungen der §§ 3, 4 BetrVG fußen dagegen auf betriebsverfassungsrechtlichen Besonderheiten und sind deswegen auf das Kündigungsschutzgesetz nicht anzuwenden.[3]

An die Stelle des Betriebsbegriffs tritt im öffentlichen Dienst der Begriff der Dienststelle. Maßgeblich für den Dienststellenbegriff ist grundsätzlich das Personalvertretungsrecht.[4] Allerdings kann der im Kündigungsschutzgesetz verwandte Betriebsbegriff nicht immer gleichgesetzt werden mit dem Begriff der Dienststelle. So stellt das BAG für den Anwendungsbereich von § 23 Abs. 1 Satz 1 KSchG nach Sinn und Zweck der Regelung nicht auf die Dienststelle, sondern bei einer mehrstufigen organisatorischen Einheit, in der verschiedene nachgeordnete Dienststellen zu einer administrativen Hierarchie zusammengefasst sind, auf die öffentliche Verwaltung insgesamt ab.[5] Im Anwendungsbereich des § 1 KSchG ist jedoch maßgeblich auf die Dienststelle abzustellen. Daran ändert auch nichts, dass für die Weiterbeschäftigungspflicht nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b KSchG auch an andere Dienststellen desselben Verwaltungszweiges angeknüpft wird.

 

Rz. 691

Im Hinblick auf eine etwaige Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers – unternehmensbezogene Beurteilung – tritt beim Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs die Betriebsbezogenheit des Kündigungsschutzgesetzes noch weiter in den Hintergrund. Es kommt dann sogar ein arbeitgeberübergreifender Kündigungsschutz in Betracht.

 

Rz. 692

Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen liegt vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen zu arbeitstechnischen Zwecken zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, sodass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden.[6]

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn mehrere Unternehmen in einem Konzern verbunden sind. Aus der gesellschaftsrechtlichen Weisungsbefugnis der Konzernholding gegenüber Tochtergesellschaften in bestimmten Bereichen kann weder auf einen gemeinsamen Betrieb zwischen der Konzernholding und einer oder mehreren Tochtergesellschaften noch auf einen gemeinsamen Betrieb zwischen einzelnen Tochtergesellschaften geschlossen werden.[7]

 

Rz. 693

Aufgrund der Besonderheiten des gemeinsamen Betriebs, insbesondere aufgrund der Ausübung von Arbeitgeberaufgaben durch denselben institutionellen Leitungsapparat, sind daher bei der Weiterbeschäftigungspflicht des Vertragsarbeitgebers auch die Beschäftigungsmöglichkeiten im gesamten gemeinsamen Betrieb relevant.[8]

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn mit der unternehmerischen Entscheidung, die der Kündigung zugrunde liegt, zugleich die Auflösung des gemeinsamen Betriebs, insbesondere des institutionellen Leitungsapparats einhergeht. Das ist bereits dann anzunehmen, wenn einer der "Betriebe" des gemeinsamen Betriebs stillgelegt wird oder aufgrund der unternehmerischen Entscheidung feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist stillgelegt sein wird. Denn dann ist der Unternehmer des stillzulegenden Betriebs rechtlich nicht mehr in der Lage, eine Weiterbeschäftigung im fortgeführten Betrieb des anderen Unternehmens durchzusetzen.[9] Allerdings ist in jedem Einzelfall konkret zu prüfen, ob durch die Organisationsentscheidung – etwa die Änderung des Betriebszwecks oder die Stilllegung – der institutionelle Leitungsapparat und damit die verbindende Klammer, welche eine etwaige Weiterbeschäftigung ermöglicht, ta...

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