Rz. 770

Da betriebsbedingte Gründe grundsätzlich nur zu einer ordentlichen Kündigung berechtigen, kommt im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine außerordentliche fristlose Kündigung regelmäßig nicht in Betracht. Dem Arbeitgeber ist, wenn aus betrieblichen Gründen die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für alle bzw. einzelne Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, wenigstens die Kündigungsfrist einzuhalten. Wenn dies zu Annahmeverzugslohnansprüchen führt, ohne dass der Arbeitgeber noch Verwendung für die Arbeitskraft der betreffenden Arbeitnehmer hat, so verwirklicht sich hierin sein Unternehmerrisiko.

Ist ein Arbeitnehmer jedoch vertraglich oder tarifvertraglich nicht mehr ordentlich kündbar, lässt die Rechtsprechung in engen Ausnahmefällen eine außerordentliche Kündigung zu.[1]

Bei der Prüfung, ob eine außerordentliche Kündigung gegenüber einem vertraglich oder tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer berechtigt ist, ist zunächst die vertragliche oder tarifvertragliche Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes zu berücksichtigen. Stellt bspw. bereits eine tarifvertragliche Regelung dem Arbeitgeber selbst bestimmte Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung, um sich bei dringenden betrieblichen Gründen aus einem unzumutbar gewordenen vertraglichen Zustand zu lösen, so hat er in erster Linie von diesen Gebrauch zu machen.[2]

Erst wenn feststeht, dass die "vorgegebenen" Lösungsmöglichkeiten versagen, kann eine außerordentliche Kündigung in Extremfällen in Betracht kommen. Der vertragliche oder tarifvertragliche Kündigungsausschluss darf dem Arbeitgeber nämlich nichts Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürden. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber ohne außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitsverhältnis über viele Jahre hinweg allein durch Gehaltszahlungen, denen bspw. aufgrund einer Betriebsstilllegung keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten. Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. In erheblich weiterem Umfang als bei einer ordentlichen Kündigung ist es dem Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer zumutbar, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht noch irgendeine Möglichkeit, die Fortsetzung eines völlig sinnentleerten Arbeitsverhältnisses etwa durch eine anderweitige Weiterbeschäftigung gegebenenfalls nach entsprechender Umschulung zu vermeiden, ist es dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar, diese andere Möglichkeit zu wählen. Erst wenn alle anderen Lösungsversuche gescheitert sind, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen.[3]

Hinsichtlich der an eine außerordentliche Kündigung zu stellenden gesteigerten Anforderungen verlangt die Rechtsprechung des Weiteren, dass der Arbeitgeber bereits bei der Erstellung des unternehmerischen Konzepts den Ausschluss ordentlicher Kündigungen zu berücksichtigen hat, da er mit dem Kündigungsausschluss ein hohes Risiko und eine weitreichende Verpflichtung eingegangen ist, welcher er insbesondere bei der Änderungskündigung hinsichtlich der zumutbaren Vertragsänderungen Rechnung tragen muss.[4]

Zur Vermeidung einer von der Vereinbarung des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung nicht intendierten Schlechterstellung des Arbeitnehmers gegenüber einem regulär ordentlich kündbaren Arbeitnehmers ist allerdings zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten. Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber ordentlich nicht gekündigt werden kann, darf im Ergebnis nicht schlechter gestellt sein, als wenn er dem Sonderkündigungsschutz nicht unterfiele.[5]

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