Rz. 858

Durch die Neufassung des § 1 Abs. 3 KSchG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass im Rahmen der Sozialauswahl keine anderen als die in der Vorschrift genannten Kriterien in die Auswahlentscheidung einzubeziehen sind. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob der Arbeitgeber noch andere Sozialmerkmale berücksichtigen darf (vgl. auch Rz. 849). Nach der Entwurfsbegründung ist der Kreis der zusätzlich berücksichtigungsfähigen Umstände aber auf Tatsachen beschränkt, die "in einem unmittelbaren spezifischen Zusammenhang mit den Grunddaten stehen oder (…) sich aus solchen betrieblichen Gegebenheiten herleiten, die evident einsichtig sind".[1] Vor diesem Hintergrund ist die Berücksichtigung finanzieller Reserven des Arbeitnehmers zu bewerten.

 

Rz. 859

Zusätzliche finanzielle Ressourcen des Arbeitnehmers mindern die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl grds. nicht. Mögliche Unterhaltsansprüche des Arbeitnehmers gegen seinen Ehepartner oder Verwandte sind bei der Sozialauswahl daher nicht zu berücksichtigen.[2] Gleiches gilt für eventuell vorhandenes Privatvermögen des Arbeitnehmers und nach Ansicht des LAG Köln für das Vermögen des Ehegatten.[3] Das BAG hat diese Frage in einer Entscheidung aus dem Jahr 1964 allerdings noch anders bewertet.[4] Unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertungen in der Entwurfsbegründung und der neueren Instanzrechtsprechung ist jedoch davon auszugehen, dass finanzielle Rücklagen des Arbeitnehmers und seiner ihm zum Unterhalt verpflichteten Verwandten kein geeignetes Sozialkriterium darstellen. Es fehlt nicht nur an einem unmittelbaren Bezug zum bestandsbedrohten Arbeitsplatz, sondern es würde auch derjenige, der für sich und seine Familie rechtzeitig vorsorgt und Rücklagen bildet, für sein verantwortungsbewusstes Handeln bestraft.

 

Rz. 860

Bei der umgekehrten Fallgestaltung, nämlich der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Unterhaltszahlung, werden gegen die Einbeziehung der Tatsache, dass der Arbeitnehmer und sein Ehepartner Doppelverdiener sind, zuweilen verfassungsrechtliche Gründe angeführt. Die Familie steht nach Art. 6 Abs. 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Es wäre mit der Wertentscheidung des Grundgesetzes unvereinbar, § 1 Abs. 3 KSchG dahingehend auszulegen, dass der Arbeitgeber im Ergebnis verpflichtet würde, einem verheirateten Arbeitnehmer nur wegen seiner familiären Bindung zu kündigen.[5] Etwas anderes ist jedoch die Frage, ob der Arbeitgeber es kann. Hier ist das BAG zu Recht großzügig (vgl. Rz. 843).

[1] Willemsen/Annuß, NZA 2004, 177.
[2] ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rz. 336; SPV/Preis, Rz. 1097 jeweils m. w. N.; unabhängig von den Unterhaltspflichten spricht sich auch APS/Kiel, § 1 KSchG Rz. 647, 653 gegen die Berücksichtigung der Vermögenslage oder anderweitigen Einkommens des Arbeitnehmers aus.
[4] BAG, Urteil v. 26.6.1964, 2 AZR 373/63, AP KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 15.

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