Rz. 895

§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG dient dem Schutz einer ausgewogenen Personalstruktur. Es entspricht der ganz h. M. im Schrifttum, dass eine Personalstruktur nicht – wie dies auch immer bestimmt werden soll – schon ausgewogen sein muss, um gesichert werden zu können. Es genügt vielmehr, wenn eine Verschlechterung abgewendet werden soll.[1] Dies geht deutlich aus der Gesetzesbegründung hervor, wonach die Sicherung der Personalstruktur bedeutet, dass der Arbeitgeber von der Auswahl nach den Sozialkriterien absehen kann, um die Personalstruktur, so wie sie aufgebaut ist, zu erhalten.[2]

 

Rz. 896

Das Merkmal der Ausgewogenheit kann nicht allein stehen, sondern bedarf eines Bezugspunktes. Denn eine Bewertung der Ausgewogenheit der Personalstruktur ist ohne eine Orientierung an bestimmten Maßstäben schlichtweg nicht möglich. Als ein solcher Bezugspunkt kommen z. B. alle Mitglieder der Gesellschaft, alle Beschäftigten oder die Beschäftigten der jeweiligen Branche in Betracht. Je nach Betrieb bieten sich unterschiedliche Maßstäbe an, deren Geeignetheit jedoch nicht pauschal bewertet werden kann.

 

Beispiel

Die Gesellschaft als Ganzes eignet sich nur bedingt als Bezugspunkt für die Bestimmung der Ausgewogenheit der Personalstruktur. Aufgrund der Tatsache, dass die Gesellschaft insgesamt immer älter wird, würde eine Übertragung auf die Personalstruktur die "Vergreisung" der Betriebe weiter vorantreiben. Dies entspricht nicht dem Normzweck und ist auch volkswirtschaftlich wenig sinnvoll.

Ein Anknüpfen an die Altersstruktur der Arbeitnehmer derselben Branche ist hingegen schon eher geeignet, einen vernünftigen Bezugspunkt zu bilden. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. So z. B. im Bereich der Steinkohleförderung, deren Einstellung absehbar ist, sodass deren Arbeitnehmerschaft mangels Neueinstellungen einen extrem hohen Altersschnitt hat.

 

Rz. 897

Ferner ist zu beachten, dass die Ausgewogenheit i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine quantitative Einschränkung enthält: Wenn das Gesetz eine ausgewogene Personalstruktur fördern will, bedeutet dies auch, dass z. B. eine für den Betrieb besonders vorteilhafte Altersstruktur nicht unbedingt aufrechterhalten werden kann. Ist die Belegschaft eines Betriebs überwiegend jung, so kann der Arbeitgeber nicht mit der Begründung, die Personalstruktur erhalten zu wollen, ältere – und damit tendenziell sozial schutzwürdigere – Arbeitnehmer entlassen. Der Arbeitgeber kann lediglich eine an allgemeinen Maßstäben orientierte ausgewogene Altersstruktur sichern, die z. B. in etwa der Altersstruktur der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung entspricht. Diese Einschränkung des Arbeitgebers widerspricht auch nicht dem Normzweck, da bei einer besonders jungen Belegschaft eine Überalterung und ein damit verbundener Leistungsabfall nicht unbedingt zu erwarten ist.[3]

[1] Vgl. nur Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1675; Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 24; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 179; Bader, NZA 2004, 65, 74 m. w. N.; a. A. Wlotzke, BB 1997, 414, 148 f.
[2] BT-Drucks. 15/1204 S. 11.
[3] Thüsing/Wege, RdA 2005, 12, 25.

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