Rz. 5
Die nachträgliche Zulassung einer verspäteten Klage setzt voraus, dass der Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert war, eine Kündigungsschutzklage binnen der in § 4 Satz 1 KSchG geregelten Klagefrist von 3 Wochen nach Zugang einer schriftlichen Kündigung zu erheben. Nach dem Wortlaut der Vorschrift darf den Arbeitnehmer folglich kein Verschulden an der verspäteten Klageerhebung treffen; schon der (berechtigte) Vorwurf leichter Fahrlässigkeit führt zum Scheitern des Antrags auf nachträgliche Zulassung.
Ein mögliches Verschulden seitens des Arbeitnehmers oder seines Prozessbevollmächtigten stellt ausnahmsweise dann kein Hindernis für die nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG dar, wenn dieses Verschulden hinter einem gleichzeitigen Verschulden des Gerichts zurückbleibt, weil ohne das Verschulden des Gerichts die Frist eingehalten worden wäre. Dies ist der Fall, wenn ein erforderlicher gerichtlicher Hinweis auf einen offensichtlichen Formfehler der Klageschrift (z. B. Nichteinreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument unter Verletzung von § 46c ArbGG) unterlassen wurde, obwohl der Hinweis bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf hätte rechtzeitig erfolgen können, sodass eine Einhaltung der Frist durch die Partei möglich gewesen wäre.
Rz. 6
Im Rahmen des § 5 KSchG gilt ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Unerheblich ist daher, welche Sorgfalt im Verkehr generell erforderlich (§ 276 Abs. 2 BGB) oder bei der Prozessführung allgemein üblich (§ 233 ZPO) ist. Es kommt vielmehr darauf an, welches individuelle Maß an Sorgfalt von demjenigen Arbeitnehmer, der den Zulassungsantrag gestellt hat, in seiner konkreten Situation und nach seinen persönlichen Fähigkeiten erwartet werden kann.
Ein wichtiger Anhaltspunkt ist die (bisherige) berufliche Stellung des gekündigten Arbeitnehmers: An einen Diplom-Kaufmann, der als Prokurist tätig war, werden höhere Sorgfaltsanforderungen gestellt als an einen Hilfsarbeiter.
Rz. 7
Das BAG geht demgegenüber von einem objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab aus. Danach begründet jede Form des Verschuldens, auch leichte Fahrlässigkeit, das schuldhafte Säumnis. Gleichwohl berücksichtigt das BAG dennoch auch subjektive Elemente. Nach dem Wortlaut nach § 5 Abs. 1 KSchG ist es nicht ausgeschlossen, auch die in der Person des Arbeitnehmers liegenden Besonderheiten zu den "nach der Lage der Umstände" zu berücksichtigenden Faktoren zu zählen.
Rz. 8
Grds. ist jedoch in allen Fällen ein strenger Maßstab anzulegen. Jedem Arbeitnehmer kann in der prekären Situation, in der eine möglicherweise wirksame Kündigung im Raum steht, eine gesteigerte Sorgfalt abverlangt werden. Nach Ansicht des BAG gehört es zu den Sorgfaltspflichten eines jeden Arbeitnehmers, sich zumindest nach Ausspruch der Kündigung unverzüglich darum zu kümmern, ob und wie er dagegen vorgehen kann.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 1 NachwG die wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses niederzulegen. Dazu zählt nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG auch, über das bei einer Kündigung einzuhaltende Verfahren zu informieren. Nach der nicht abschließenden Aufzählung fällt darunter die Angabe über das Schriftformerfordernis nach § 623 BGB, die Angabe über die Kündigungsfrist und die 3-wöchige Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach §§ 4, 7 KSchG.
Unklar ist allerdings, ob und welche weiteren Hinweise (z. B. im Hinblick auf § 5 KSchG) erbracht werden müssen. Eine Entscheidung des BAG steht noch aus (vgl. Rz. 1).
Rz. 9
Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit einer nachträglichen Zulassung mit Wirkung zum 1.1.2004 um eine besondere Fallgestaltung erweitert: Eine verspätete Klage kann auch nachträglich zugelassen werden, wenn eine Arbeitnehmerin – ohne fahrlässig zu handeln – erst nach Ablauf der Klagefrist von ihrer Schwangerschaft erfährt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Die Grundregel des § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist in diesen Fällen eigentlich nicht einschlägig, da die Arbeitnehmerin keineswegs an einer fristgerechten Klageerhebung gehindert ist, sondern lediglich nicht ihren besonderen Kündigungsschutz kennt. Die Regelung soll individuelle Härten vermeiden.
Rz. 10
Die Arbeitnehmerin kann aber ihren Arbeitgeber unverzüglich nach Kenntnis der Schwangerschaft informieren und damit ein Kündigungsverbot auslösen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG). Die Erklärung muss rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber bzw. dem Arbeitsgericht erfolgen. Die nachträgliche Zulassung der Klage eröffnet der Arbeitnehmerin darüber hinaus die Möglichkeit, sich auf alle sonstigen Unwirksamkeitsgründe zu berufen.