Rz. 1
Die §§ 168–175 SGB IX regeln den Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen. Bis zum 1.1.2018 waren diese Regelungen in den §§ 85–92 SGB IX enthalten. Das SGB IX ist durch das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 zum 1.1.2018 neu in Kraft getreten. Die Regelungen der §§ 168–175 n. F. entsprechen dabei §§ 85–92 a. F., eine inhaltliche Änderung erfolgte nicht. Kern dieses Sonderkündigungsschutzes ist das in § 168 SGB IX geregelte Erfordernis der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts, welche öffentlich-rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung der vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung ist. Durch den Sonderkündigungsschutz im SGB IX wird die Ausübung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts einer vorherigen Kontrolle des Integrationsamts unterworfen, um bereits im Vorfeld der Kündigung die besonderen Schutzinteressen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung zu bringen. Ziel der Regelungen ist es, die aus der Behinderung des Arbeitnehmers resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt abzufedern und zudem zu verhindern, dass sich Arbeitgeber ihrer ihnen aus sozialpolitischen Gründen auferlegten Pflicht zur Eingliederung von schwerbehinderten Arbeitnehmern in den Arbeitsprozess im Einzelfall durch Kündigung wieder entledigen. Die Nichteinholung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts kann eine Vermutung i. S. v. § 22 AGG für das Vorliegen einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung begründen. Bei § 168 SGB IX handelt es sich um ein Kündigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt, d. h. dass die zunächst bestehende Kündigungssperre durch die Zustimmung des Integrationsamts zu der beabsichtigten Kündigung beseitigt wird.
Rz. 2
Der Mechanismus leuchtet ein: Stimmt das Integrationsamt der Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers zu, dann spricht viel dafür, dass die Kündigung rechtmäßig ist und sich der Arbeitnehmer hiergegen nicht zu wehren braucht. Sofern das Integrationsamt aber nicht zustimmt, verlagert sich der Streit auf die Ebene Arbeitgeber – Integrationsamt: Wenn der Arbeitgeber kündigen will, muss er auf die Zustimmung durch das Amt klagen. Der Arbeitnehmer wird so aus dem Streit herausgehalten, das Integrationsamt streitet für ihn. Der Kündigungsschutz des schwerbehinderten Arbeitnehmers kann weder individuell noch durch Tarifvertrag abbedungen werden. Vertragsklauseln dieser Art wären nichtig und der Schwerbehinderte nicht an sie gebunden.
Rz. 3
Der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer räumt den Betroffenen eine besondere und zusätzliche kündigungsrechtliche Sonderstellung ein. Dabei tritt der besondere Kündigungsschutz nach den §§ 168 ff. SGB IX neben die sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften – der allgemeine Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG steht dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ebenso wie der Schutz des § 17 MuSchG oder der Kündigungsschutz für Mitglieder der Betriebs- bzw. Personalvertretung nach § 15 KSchG zu wie einem nicht behinderten Arbeitnehmer. Dementsprechend ist auch bei der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers der Betriebsrat zu hören (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) bzw. der Personalrat zu beteiligen (§§ 85 f. BPersVG).