Rz. 17

Der Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen ist nicht unionsrechtlich gewährleistet. Er unterliegt deshalb nicht den unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG.[1] Deshalb ist der nationale Gesetzgeber frei, die Anforderungen an diesen zu regeln. Nach der Rechtsprechung des für das Urlaubsrecht zuständigen Neunten Senats des BAG sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs jedoch nach dem Grundsatz der urlaubsrechtlichen Akzessorietät auch auf den Anspruch schwerbehinderter Menschen auf Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX anzuwenden.[2] Das heißt, der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen teilt grundsätzlich das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs. Es besteht deshalb einerseits keine Pflicht des Arbeitgebers, den Zusatzurlaub von sich aus festzusetzen. Andererseits verfällt der Zusatzurlaubsanspruch aber nach Auffassung des BAG aufgrund der Akzessorietät auch nicht, wenn der Arbeitgeber seine für den gesetzlichen Mindesturlaub angenommenen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten[3] in Bezug auf diesen Anspruch nicht erfüllt hat[4]. Das BAG geht davon aus, dass ein verständiger Arbeitnehmer bei entsprechender Aufforderung und Unterrichtung seinen Zusatzurlaub typischerweise rechtzeitig vor dem Verfall beantragt.[5]

Dies geht zurück auf den EuGH, wonach sich der Arbeitgeber nur unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Befristung des Urlaubsanspruchs und einen Untergang bei fehlendem Urlaubsantrag berufen kann. Hierzu muss feststehen, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht genommen hat. Deshalb muss der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG auch beim gesetzlichen Zusatzurlaub schwerbehinderter Menschen konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, diesen zu nehmen. Er muss ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, diesen zu nehmen und klar und rechtzeitig mitteilen, dass er ansonsten am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfällt.[6]

 
Hinweis

Aus Arbeitgebersicht empfiehlt sich die Einhaltung der Informations- und Hinweispflichten auch, weil der Anspruch auf Resturlaubstage aus Vorjahren ansonsten nicht nach 3 Jahren verjährt, wie es das deutsche Recht in § 195 BGB vorsieht. Die deutschen Regelungen zur Verjährung sollen insoweit unionsrechtswidrig sein.[7] In Umsetzung der Vorgaben des EuGH hat der Neunte Senat des BAG entschieden, dass die Verjährungsfrist für den gesetzlichen Urlaubsanspruch erst dann zu laufen beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.[8] Es ist davon auszugehen, dass das BAG diese Vorgaben aufgrund der angenommenen Akzessorietät zwischen gesetzlichem Erholungsurlaub und Schwerbehindertenzusatzurlaub auch auf den Zusatzurlaub überträgt; damit könnten dann Restzusatzurlaubsansprüche auch noch nach mehr als 3 Jahren geltend gemacht werden.

Die Befristung des Zusatzurlaubsanspruchs ist allerdings nur dann von der Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten durch den Arbeitgeber abhängig, wenn es ihm möglich war, den Arbeitnehmer durch seine Mitwirkung in die Lage zu versetzen, den Zusatzurlaub zu realisieren. Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers und ist diese auch nicht offenkundig, verfällt der Anspruch auf Zusatzurlaub auch dann mit Ablauf des Urlaubsjahrs oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist.[9]

Nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitgeber regelmäßig keinen Anlass, den Arbeitnehmer vorsorglich auf etwaigen Zusatzurlaub hinzuweisen und ihn aufzufordern, diesen ggf. in Anspruch zu nehmen, wenn er keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und diese nicht offenkundig ist.[10] Er kann aber regelmäßig erwarten, dass ein Arbeitnehmer ihm seine Schwerbehinderteneigenschaft mitteilt, wenn er den Zusatzurlaub wahrnehmen möchte.

Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hat, ohne seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten und ohne dass die Schwerbehinderung offensichtlich ist.

Konsequenz: Unterlässt der Arbeitnehmer diese Mitteilung, kann er – obwohl der gesetzliche Zusatzurlaub nach § 13 BUrlG nicht disponibel und ein wirksamer Verzicht auf diesen nicht möglich ist – seine Rechte aus § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht in Anspruch nehmen.[11] Verschweigt ein Arbeitnehmer seine Schwerbehinderung, verfällt dieser wie der gesetzliche Mindesturlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG, denn er wird in dieser Situation nicht auf Veranlassung des Arbeitgebers davon abgehalten, seine Recht...

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