Jahresurlaub darf auch bei längerer Krankheit nicht einfach verfallen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über den Fall eines als schwerbehinderter Mensch anerkannten Arbeitnehmers zu entscheiden, der bei seinem Arbeitgeber, einer Flughafengesellschaft, als Frachtfahrer im Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste beschäftigt war. In der Zeit vom 1. Dezember 2014 bis mindestens August 2019 konnte der Arbeitnehmer wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und war deshalb nicht in der Lage, seinen Urlaub zu nehmen. Er machte gerichtlich geltend, ihm stehe noch Resturlaub aus dem Jahr 2014 zu. Dieser sei nicht verfallen, weil der Arbeitgeber seiner Pflicht, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.
Urlaubsverfall: BAG ändert seine Rechtsprechung
Die Vorinstanzen hatten die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen. Die Revision des Beschäftigten hatte hinsichtlich des Resturlaubs aus dem Jahr 2014 überwiegend Erfolg. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers verfiel der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Arbeitnehmers nicht allein aus gesundheitlichen Gründen.
Grundsätzlich erlöschen Urlaubsansprüche nach dem Bundesurlaubsgesetz nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden zuvor durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Konnte der Arbeitnehmende seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen, war es nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG so, dass die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall – bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit – ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres untergingen ("15-Monatsfrist"). Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht nun in Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022, um die ihn das BAG in diesem Fall ersucht hatte, weiterentwickelt.
Entscheidend ist, ob im Urlaubsjahr noch gearbeitet wurde
Danach verfällt der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist weiterhin dann, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil eine Mitwirkung des Arbeitgebers nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätte beitragen können.
Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmende – wie der Arbeitnehmer im hier entschiedenen Fall – im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In dieser Fallkonstellation verfällt der Urlaubsanspruch nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden rechtzeitig vor Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.
Kein Erlöschen des Urlaubs bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers
In dem Fall, den das BAG hier zu entscheiden hatte, konnte der für das Jahr 2014 im Umfang von 24 Arbeitstagen noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch danach nicht allein deshalb mit Ablauf des 31. März 2016 erlöschen, weil der Arbeitnehmer nach Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung mindestens bis August 2019 aus gesundheitlichen Gründen außerstande war, seinen Urlaub anzutreten. Der Resturlaub blieb ihm für das Jahr 2014 vielmehr erhalten, weil der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 1. Dezember 2014 nicht nachgekommen ist, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.
Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 245/19
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