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Führt die Abweichung vom Interessenausgleich oder die Betriebsänderung ohne Versuch des Interessenausgleichs zu einer Entlassung des Arbeitnehmers, kann der Arbeitnehmer eine Abfindung fordern. Eine Entlassung im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG liegt nur vor, wenn das Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit der Betriebsänderung rechtlich beendet worden ist. Daran fehlt es, wenn gegen eine ausgesprochene Kündigung Klage erhoben und die Unwirksamkeit der Kündigung rechtskräftig festgestellt wird. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber die Kündigung "zurücknimmt" mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis weiter besteht.
In der Praxis gehen Arbeitnehmer hier oft zweigleisig vor – es wird die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen und daneben hilfsweise ein Anspruch auf Nachteilsausgleich eingeklagt. Wenn der Arbeitgeber den oft erheblichen Anspruch auf Nachteilsausgleich vermeiden will, hilft es nicht, die Kündigung nur "zurückzunehmen", sondern er muss ein förmliches Anerkenntnis abgeben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet ist. Dem kann aber umgekehrt der Arbeitnehmer – der sich den Anspruch auf den Nachteilsausgleich sichern will – zuvorkommen, in dem er seinerseits die Kündigungsschutzklage zurücknimmt, was bis zur Antragstellung im Kammertermin ohne Zustimmung des Arbeitgebers möglich ist.
Für die Höhe der Abfindung gilt § 10 KSchG entsprechend. Die Abfindung kann daher bis zu 12 Monatsgehälter betragen, bei Arbeitnehmern nach Vollendung des 50. Lebensjahrs und mindestens 15 Jahren Betriebszugehörigkeit bis 15 Monatsgehälter, nach Vollendung des 55. Lebensjahrs und nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit 18 Monatsgehälter. Als Monatsgehalt ist das regelmäßige Entgelt im Monat der Vertragsbeendigung zu zahlen; nicht regelmäßig anfallende Überstunden oder Kurzarbeit sind nicht zu berücksichtigen. Entgelt, das für einen Zeitraum von mehr als einem Monat gezahlt wird, ist mit dem Monatsanteil zu berücksichtigen (z. B. 1/12 des 13. Gehalts, der Tantieme). Da diese Abfindungen auch einen Sanktionscharakter haben, setzen die Arbeitsgerichte hier oft einen höheren Faktor an als in einem Sozialplan festgesetzt worden wäre, oft bis zu 1,0 Gehälter pro Jahr Betriebszugehörigkeit. Abfindungen aus einem Sozialplan sind auf den Nachteilsausgleich anzurechnen, der entlassene Arbeitnehmer kann nicht eine doppelte Zahlung verlangen.
Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung verfolgen denselben Zweck, denn sie sollen eine Überbrückung bis zu einer neuen Beschäftigung sein. Bei Versetzungen oder Umgruppierungen kommen als Ausgleich von Nachteilen z. B. Fahrtkosten, Umzugskosten, höhere Mieten, Umschulungskosten oder Einkommensnachteile in Betracht. Spricht der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aus und nimmt der Arbeitnehmer das Angebot der geänderten Arbeitsbedingungen an, hat der Arbeitnehmer keinen Abfindungsanspruch aus § 113, weil die Änderungskündigung nicht als Entlassung wirkt. Andere Nachteile sind aber nach § 113 Abs. 2 wie bei Versetzungen oder Umgruppierungen auszugleichen.