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Grundsätzlich verbietet § 7 AGG eine unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauungsgemeinschaft. Die Vorschrift des § 9 AGG macht aber von der in der Richtlinie 2000/78/EG[1] eröffneten Möglichkeit Gebrauch, bereits geltende Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten beizubehalten, die bisher schon eine Ungleichbehandlung zugelassen haben. Im Ergebnis erlaubt es damit die Regelung des § 9 AGG, den Status quo der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften aufrechtzuerhalten, die sich in weiten Teilen außerhalb des Diskriminierungsschutzes bewegen.

 
Praxis-Beispiel

Die Leiterin eines katholischen Kindergartens oder die Angestellte einer Caritasgeschäftsstelle darf bei Heirat mit einem geschiedenen Mann entlassen werden.[2]

Allerdings hat das BAG zwischenzeitlich diese Rechtsprechung etwas gelockert. Bei einer Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen (wie z. B. die Wiederheirat eines Geschiedenen) muss abgewogen werden zwischen dem Recht der Religionsgemeinschaft und dem Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Dieses Abwägungsgebot folgt auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.[3] Zwar liegt in einer Kündigung durch einen katholischen Arbeitgeber wegen Wiederverheiratung grundsätzlich nach Ansicht des BAG auch weiterhin keine unzulässige Diskriminierung, allerdings ist im Einzelfall abzuwägen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht doch zumutbar ist, z. B. weil der Arbeitgeber in vergleichbaren Fällen keine Kündigung ausgesprochen hat.[4] Zwischenzeitlich hat der EuGH diese Rechtsprechung weiter präzisiert. Nach der jüngsten Rechtsprechung.[5] Nach Ansicht des EuGH kann in Tendenzbetrieben mit bestimmter konfessioneller Zielsetzung nur unter engen Voraussetzungen verlangt werden, dass die Arbeitnehmer der entsprechenden Konfession angehören.[6] Dem hat sich das BAG in seiner Rechtsprechung angeschlossen.[7]

Die Frage, ob ein Unternehmen der Privatwirtschaft das Tragen auffälliger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz verbieten kann, oder ob er damit gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, hat das BAG jüngst dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.[8] Im konkreten Fall geht es um die Untersagung eines Kopftuches gegenüber einer Verkaufsberaterin und Kassiererin. Die Klägerin beruft sich auf ihre Religionsfreiheit und ist der Meinung, wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden, die Beklagte beruft sich auf ihre unternehmerische Freiheit und den Schutz der negativen Religionsfreiheit ihrer Kunden und Arbeitnehmer. Der EuGH[9] hat im konkreten Fall die interne Regelung der Beklagten, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen und religiösen Zeichens verbietet, weder als unmittelbare noch als mittelbare Diskriminierung der Klägerin angesehen. Begründet wurde dies mit einem rechtmäßigen Ziel, wie die Verfolgung einer Geschäftspolitik der politischen, philosophischen und religiösen Neutralität gegenüber seinen Kunden, welches die Beschränkung sachlich rechtfertige und die Mittel dazu angemessen und erforderlich sind.

[1] Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG Nr. L 303 S. 16.
[2] So auch BAG, Urteil/Beschluss v. 25.4.1978, AP Nr. 2 zu Art. 140 GG; BAG, Urteil/Beschluss v. 14.10.1980, AP Nr. 7 zu Art. 140 GG.
[3] EGMR, 3.2.2011, 18136/02.
[4] S. ausführlich zur Frage der Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen BAG, Urteil v. 8.9.2011, 2 AZR 543/10.

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