Rz. 19
Von der Möglichkeit einer Befristung nach § 21 kann der Arbeitgeber, etwa bei verschiedenen Vertretungsfällen, auch wiederholt Gebrauch machen, sodass es zu länger dauernden Vertretungsfällen kommen kann.
Die obige Rechtsprechung zur wiederholten Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG sowie § 21 Abs. 1 des BAG stieß vor dem Hintergrund des europäischen Gemeinschaftsrechts auf Kritik. Das BAG legte mit Beschluss v. 17.11.2010 seine Rechtsprechung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV dem EuGH zur Prüfung auf die Vereinbarkeit mit Unionsrecht vor. Mit Urteil v. 26.1.2012 bestätigte der EuGH, dass allein in der wiederholten oder dauerhaften Inanspruchnahme von befristeten Vertretungen bei an sich bestehender Möglichkeit zur unbefristeten Einstellung kein Verstoß gegen Unionsrecht zu sehen ist, verlangte zugleich aber eine umfassende Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der Befristung unter Einbeziehung der Zahl und Gesamtdauer der in der Vergangenheit abgeschlossenen Befristungen.
In Umsetzung dieser Rechtsprechung bestätigte das BAG seine bisherige Rechtsprechung und stellte fest, dass allein eine große Anzahl der mit einem Arbeitgeber abgeschlossenen Arbeitsverträge oder die Gesamtdauer der "Befristungskette" nicht dazu führen, dass an den Sachgrund der Vertretung strengere Anforderungen zu stellen sind. Allerdings unterzieht das BAG befristete Arbeitsverträge mit dem Befristungsgrund "Vertretung" nun einer auf § 242 BGB gestützten zusätzlichen Überprüfung auf einen "institutionellen Rechtsmissbrauch". Bei Vorliegen eines Sachgrunds besteht kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Davon ist auszugehen, wenn nicht mindestens das 4-fache eines der in der Norm bestimmten Werte oder das 3-fache beider Werte überschritten ist. Einer gesteigerten Missbrauchskontrolle bedarf es daher nicht, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von 6 Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als 9 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden. Werden die obigen Grenzen alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten, so ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten. Dies wurde angenommen, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses 8 Jahre überschreitet oder mehr als 12 Verlängerungen des befristeten Arbeitsverhältnisses erfolgten oder bei einer Gesamtdauer von mehr als 6 Jahren bei gleichzeitiger Vereinbarung von mehr als 9 Vertragsverlängerungen. In diesem Fall dürfen sich die Gerichte bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds der Vertretung beschränken. Ob ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist, hängt dabei von weiteren, zunächst vom Arbeitnehmer darzulegenden Umständen des Einzelfalls ab. Bei einer besonders gravierenden Überschreitung der obigen Grenzen kann ein Rechtsmissbrauch indiziert sein. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses 10 Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen erfolgten oder wenn mehr als 12 Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als 8 Jahren vorliegen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände entkräften. Das BAG hat in einem Fall eine Gesamtdauer von 7 Jahren und 9 Monaten sowie 4 Befristungen als zulässig erachtet, dagegen sieht es in der anderen Entscheidung eine Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und 13 Befristungen als Indiz für eine missbräuchliche Gestaltung an. Das BAG sah bei einer Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von fast 15 Jahren und der Anzahl von 10 befristeten Verträgen die missbräuchliche Ausnutzung einer Sachgrundbefristung als indiziert an. Allerdings konnte der Arbeitgeber die Annahme des Gestaltungsmissbrauchs durch Darlegung besonderer Umstände widerlegen, wie etwa eines fehlenden dauerhaften Vertretungsbedarfs, sodass im Ergebnis die Befristung als rechtmäßig angesehen wurde. In einer aktuellen Entscheidung sah das LAG Rheinland-Pfalz bei einer Gesamtbefristungsdauer von 5 Jahren bei 11 Vertragsverlängerungen keinen gesteigerten Anlass für eine Befristungskontrolle.
Angesichts der in § 21 Abs. 1 ausdrücklich anerkannten gesellschaftlichen Bedeutung der Befristungsregelungen sowie der im Vergleich zu anderen Vertretungsfällen regelmäßig kürzeren Dauer der Befristungen ist damit zu rechnen, dass die Anforderungen der neuen Rechtsprechung des BAG im Regelfall erfüllt werden, sodass auch die Missbrauchskontrolle an der Praxis der Befristungen nach § 21 wenig ändern wird.