Rz. 55
§ 12 Abs. 5 regelt das Verbot der Akkord- und Fließarbeit für Stillende. Ausnahmen von diesem Verbot kann die zuständige Aufsichtsbehörde nach § 26 Abs. 3 Nr. 7 bewilligen. Akkordarbeit ist dabei die Umschreibung einer an Vorgaben orientierten Leistungserbringung (sog. Stückakkord, wenn sich die Bezahlung nach der Abarbeitung von Stückzahlen bemisst oder Zeitakkord, wenn sich die Bezahlung an den in einer definierten Zeit abgearbeiteten Umfängen bemisst). Zweck des Verbotes ist, die stillende Mutter aufgrund der Entlohnungsart vor Überanstrengung zu schützen und die Kopplung zwischen Arbeitstempo und Vergütung auszuhebeln, weil sonst die Stillende nicht die Möglichkeit zu kurzen Pausen nutzen würde.
Fließarbeit ist die Abarbeitung der Arbeitsumfänge in einer aneinander gereihten Folge einzelner Arbeitnehmer und Arbeitsschritte. Entscheidend ist, dass die Stillende hier nicht die Geschwindigkeit des Fließbandes bestimmen kann und damit bei notwendigen Unterbrechungen wegen des Stillens nicht reagieren kann. Die Stillende muss vielmehr im Hinblick auf die Gesundheit die Arbeitsbelastung und das Arbeitstempo im Zweifel unterbrechen oder mildern können.
Rz. 56
In der betrieblichen Praxis gibt es zahlreiche Vergütungsformen, die an eine Leistung oder an einen Tätigkeitserfolg gekoppelt sind. Hier ist auf den körperlichen und ggf. psychischen Druck durch die Erbringung eines bestimmten Volumens als Schutzzweck der Norm abzustellen. Nicht hierunter fallen Vergütungsformen, die eine qualitative Ausbringung honorieren (Qualitätsprämien) oder wegen der Gewährung für einen längeren Zeitraum keine Schlussfolgerung auf einzelne Tätigkeiten zulassen (z. B. Jubiläumszuwendungen, Jahresprämien, Beteiligungen am Unternehmensgewinn). Der Gesetzgeber will den in seiner Auswirkung körperlich gefährlichen Arbeitsdruck minimieren, nicht die Gut- oder Schlechtleistung infrage stellen. Daher ist auch nicht die Tätigkeit als solche verboten, sondern nur die Beschäftigung in der konkreten Entlohnungsart. Der Wechsel des Entlohnungsgrundsatzes (z. B. Zeitlohn statt Akkordlohn) macht eine Weiterbeschäftigung grundsätzlich möglich.
Rz. 57
Die Aufsichtsbehörde kann Ausnahmen und Bewilligungen zulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Gesundheit von Mutter und Kind nicht zu befürchten ist. Damit eröffnet der Gesetzgeber die Möglichkeit, auf spezifische Situationen im Betrieb reagieren zu können, wenn die Akkord- oder Fließbandarbeit keine Auswirkungen auf die Leistung der Mutter hat oder die Arbeitsabläufe so gestaltet sind, dass ein Fließband überwiegend zu Transportzwecken, also nicht zur Steuerung der Arbeitsgeschwindigkeit verwendet wird.
Die Aufsichtsbehörde kann sich durch Augenschein und Einschätzung der Lage ein Bild von der Gefährdungslage machen und auf Basis des Schutzzweckes der Norm entscheiden. Gleichwohl ist diese Norm in der Praxis eher wenig von Bedeutung, da sich ein Arbeitgeber nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen möchte, durch die Bewilligung der Aufsichtsbehörde eine Arbeitsleistung zu erzwingen, zumal die Stillzeit zeitlich begrenzt ist und weitere Gefährdungstatbestände jederzeit mit in Betracht kommen können.
Rz. 58
In jedem Fall ist eine gutachterliche Einschätzung der Lage durch den Betriebsarzt und das Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber notwendige Grundlage für ein Aktivwerden der Behörde. Die Behörde entscheidet unter Ausübung des Ermessensspielraumes, es gibt keinen Rechtsanspruch auf einen entsprechenden Bescheid. Solche Bewilligungen erfolgen dann zumeist befristet und mit Auflagen (zusätzliche Pausen etc.), sodass der praktische Wert für den Arbeitgeber eher zu vernachlässigen ist.