Dr. Christian Schlottfeldt
Kernelement der Vertrauensarbeitszeit ist die Fokussierung des betrieblichen Arbeitszeitmanagements auf die Schaffung transparenter und fairer Rahmenbedingungen für eine Ausbalancierung von Aufgaben und Arbeitszeit zwischen Arbeitnehmer und Führungskraft.
Die impliziten Voraussetzungen erscheinen dabei oft schwieriger zu realisieren als die förmlichen betrieblichen Regelungen. Dies gilt insbesondere für die Abkehr von einer "Anwesenheitskultur".
Besondere Bedeutung hat die Begleitung der Führungskräfte:
Vertrauensarbeitszeit fordert von den Führungskräften die Entwicklung eines Selbstverständnisses weg vom "Anwesenheitskontrolleur" hin zum "Coach" eigenverantwortlich agierender Mitarbeiter, die sich hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung weitgehend selber "führen". Diese Rolle kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn ein Missverhältnis zwischen vereinbarter Arbeitszeit und Aufgabenumfang besteht. Insoweit ist die "Überlastsituation"gleichsam die Bewährungsprobe der Vertrauensarbeitszeit als ergebnisorientiertes und zugleich "zeitsensibles" Arbeitszeitmodell. Die europäische und deutsche Rechtsprechung zur verpflichtenden Zeiterfassung wirkt sich in der Praxis als verstärkendes Argument für die effektive Etablierung von Überlastszenarien aus. Die Einbindung ortsflexibler Arbeit ("mobiles Arbeiten") und das eigene Arbeitszeitverhalten der Führungskräfte können ebenfalls dazu beitragen, die Entwicklung einer ergebnisorientierten Arbeitskultur im Unternehmen, die Voraussetzung der Vertrauensarbeitszeit ist, zu fördern. Eine solche Vertrauenskultur bedarf im Übrigen immer der Unterstützung durch beide Betriebsparteien. Vertrauensarbeitszeit kann deshalb nur als gemeinsames Projekt der Betriebsparteien gelingen.
Unabhängig von der "Kulturfrage" muss der Arbeitgeber auch in der Vertrauensarbeitszeit seiner Verantwortung für die Einhaltung arbeitszeitschutzrechtlicher Bestimmungen gerecht werden und geeignete Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen entwickeln, die die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen sicherstellen. Die Begrenzung der Arbeitszeitverteilung durch entsprechende betriebliche Rahmenregelungen und die Nutzung der gesetzlichen Arbeitszeitnachweise als Indikator für strukturelle arbeitszeitrechtliche Problemlagen können dabei eine wichtige Rolle spielen. Perspektivisch bleibt abzuwarten, welche Spielräume für Vertrauensarbeitszeit der Gesetzgeber im Zuge einer erweiterten arbeitszeitgesetzlichen Aufzeichnungspflicht bestehen lässt.
Derzeit verpflichtet § 16 Abs. 2 ArbZG, wie vorstehend dargelegt, den Arbeitgeber lediglich, die über die Arbeitszeit des § 3 ArbZG (8 Stunden an Werktagen Montag bis Samstag) hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen. Eine Verpflichtung zur Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Ruhepausen oder des Ausgleichs von Überschreitungen der werktäglichen Arbeitszeit innerhalb des insoweit vorgesehenen Ausgleichszeitraums (6 Kalendermonate oder 24 Wochen; für Nachtarbeitnehmer ein Kalendermonat oder 4 Wochen) besteht hingegen im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes derzeit nicht. Insoweit bleibt auch die gegenwärtige deutsche Rechtslage hinter den Anforderungen des Unionsrechts (hier: EU-Arbeitszeitrichtlinie) in der Auslegung durch den EuGH und das BAG zurück.
Eine gesetzliche Konkretisierung der europäischen Rechtsprechung ist in Deutschland bislang nicht erfolgt. Der deutsche Gesetzgeber wird deshalb die Aufzeichnungspflichten des Arbeitszeitgesetzes erweitern müssen. Davon werden voraussichtlich insbesondere Betriebe oder Arbeitsbereiche mit Vertrauensarbeitszeit betroffen sein, in denen keine betriebliche Arbeitszeiterfassung besteht und die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfasst wird. Es ist damit zu rechnen, dass die bisherige Aufzeichnungsvorschrift des § 16 Abs. 2 ArbZG zumindest insofern angepasst wird, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit grundsätzlich zu erfassen sind. Erleichterungen für Arbeitnehmer in Vertrauensarbeitszeit und/oder mobiler Arbeit (z. B. aufgrund tarifvertraglicher Öffnungsklauseln) stünden dabei im Ermessen des Gesetzgebers.