Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich
Welche Auswirkungen hat dieses Urteil des BAG für Arbeitgeber, insbesondere hinsichtlich flexibler Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit oder New-Work-Konzepte?
Gesetzliche Ausgangslage zur Arbeitszeiterfassung
Laut des aktuellen Gesetzeswortlautes ist der Arbeitgeber grundsätzlich nur verpflichtet, "die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen". Hierzu gibt es nur wenige Ausnahmen, die weitergehende Aufzeichnungspflichten vorsehen. Diese Zeiterfassungspflicht kann auch auf die Mitarbeiter übertragen werden. Dies kam bisher insbesondere für Mitarbeiter, die mobil oder im Homeoffice arbeiten oder Vertrauensarbeitszeit leisten in Betracht.
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Arbeitszeiterfassung auch für leitende Angestellte?
Die Entscheidung des BAG betraf ursprünglich die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einführung von Zeiterfassungssystemen. Die Mitbestimmung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber bereits gesetzlich zu einer bestimmten Maßnahme verpflichtet ist. Eine solche gesetzliche Verpflichtung zur umfangreichen Zeiterfassung sieht das BAG im Arbeitsschutzgesetz (§ 3 Abs. 2 ArbSchG,) da diese Norm im Lichte der EuGH-Rechtsprechung von 2019 auszulegen sei.
Widersprüchlich ist insoweit, dass das Arbeitsschutzgesetz im Gegensatz zum Arbeitszeitgesetz für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inklusive leitender Angestellter Anwendung findet. Nach der derzeitigen Rechtslage müsste daher auch die Arbeitszeit leitender Angestellter erfasst werden, obwohl das Arbeitszeitgesetz für diese gar nicht gilt. Daher bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber hierzu entsprechende Regelungen schafft.
Konkrete Vorgaben zu Zeiterfassungssystemen fehlen bisher
Laut Koalitionsvertrag möchte die Ampelkoalition prüfen, welcher Anpassungsbedarf aufgrund des Urteils des EuGH zur Arbeitszeiterfassung besteht. Dabei sollten flexible Arbeitszeitmodelle (zum Beispiel Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich bleiben. Offen bleibt, wie die Erfassung der Arbeitszeit gestaltet sein soll. Der Pressemitteilung des BAG lassen sich keine genauen Vorgaben entnehmen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte an, Lösungen finden zu wollen, "die in der betrieblichen Wirklichkeit handhabbar sind".
Das Urteil des EuGH legt jedoch fest, dass ein objektives, zugängliches und verlässliches System eingeführt werden soll. Diesem sollen sich die wöchentliche Arbeitszeit, die Pausenzeiten und die Ruhezeiten zwischen Ende eines Arbeitstages und Anfang des nächsten Arbeitstages entnehmen lassen.
BAG-Urteil: Vertrauensarbeitszeit bleibt weiterhin möglich
New-Work-Konzepte, wie die Arbeit im Homeoffice, mobil an wechselnden Orten oder hybrid sowohl im Büro als auch mobil, gehen oft mit Vertrauensarbeitszeitmodellen einher. Vertrauensarbeitszeit meint dabei, dass der Arbeitnehmende Beginn und Ende seiner täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen kann. Im Gegenzug verzichtet der Arbeitgeber auf die Kontrolle, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit einhält (so auch BAG, Urteil vom 26. Juni 2019, Az. 5 AZR 452/18). Vertrauensarbeitszeit bedeutet hingegen nicht, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an keine Arbeitszeit mehr halten müssen: Die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes galten auch bereits vor dem Urteil des EuGH und des BAG uneingeschränkt.
Die Existenz von New-Work-Konzepten ist durch eine Pflicht zur Zeiterfassung also nicht bedroht. Schließlich setzen diese Arbeitsmodelle zumeist voraus, dass bestimmte betriebliche Programme und Daten auf Dienstgeräten verwendet werden. Die Einführung eines Zeiterfassungssystems ist dann vielmehr ein gewisser organisatorischer Aufwand – soweit Arbeitgeber diesen jedoch auf sich nehmen, steht der Fortführung von New-Work-Konzepten nichts im Weg.
Zeiterfassungspflicht: Ausgestaltung noch unklar
Der gänzliche Verzicht auf die Dokumentation ist jedoch nicht mehr möglich. Hierzu sagte die Präsidentin des BAG, Inken Gallner, dass Deutschland durchaus Gestaltungsspielraum über das "Wie" der Arbeitszeiterfassung habe; nur das "Ob" der Zeiterfassung sei keine Frage. Dies bedeutet in Zukunft einige Neuerungen, insbesondere für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Vertrauensarbeitszeit. Der Gedanke, dass Arbeitnehmende kommen und gehen können, wann sie wollen und der Arbeitgeber darauf vertraut, dass sie ihre vertragliche Arbeitszeit erfüllen, wird weiter bestehen. Es ist aber damit zu rechnen, dass auch bei Arbeitnehmenden mit Vertrauensarbeitszeit nachvollziehbar sein muss, ob die Mindestanforderungen des Arbeitszeitrechts eingehalten werden.
Bei der konkreten Ausgestaltung der Zeiterfassungspflicht wird wohl insbesondere der effektive Gesundheitsschutz eine große Rolle spielen, denn dies ist der Grundgedanke, der sich durch sämtliche Arbeitszeitregelungen zieht. Die Möglichkeit von Vertrauensarbeitszeit widerspricht diesem Gedanken nicht, daher wird dieses Arbeitszeitmodell auch weiterhin bestehen. In Zukunft müssen Arbeitgeber jedoch damit rechnen, dass sie insbesondere die Einhaltung von Pausen- und Ruhezeiten bei Mitarbeitenden mit Vertrauensarbeitszeit überprüfen. Dass dieses Bedürfnis insbesondere bei der flexiblen Gestaltung der Arbeitszeit im Rahmen der Mobilarbeit besonders groß ist, zeigt der aktuelle Referentenentwurf des Mobile-Arbeit-Gesetz. Auch ohne die aktuelle BAG-Rechtsprechung sieht dieser Entwurf eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für jeden Mitarbeiter vor, der regelmäßig mobil tätig wird.
Vertrauensarbeitszeit: Nachvollziehbare Überstunden durch Zeiterfassung
Ein weiterer wichtiger Punkt bei Mitarbeitern mit Vertrauensarbeitszeit ist die Vergütung. Auch hier können sich Probleme ergeben, insbesondere, wenn bei der Zeiterfassung große Mengen an Überstunden auffallen. Hier kommt es zunächst darauf an, wie der Arbeitsvertrag die Abgeltung der Überstunden regelt. Im Zweifel sollte dies möglichst frühzeitig und transparent mit dem Mitarbeitenden kommuniziert werden.
Das BAG (Urteile vom 4. Mai 2022, Az. 5 AZR 359/21 und Az. 5 AZR 474/21) stellte vor kurzem fest, dass die vom BAG entwickelten Grundsätze zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für die Leistung von Überstunden durch den Arbeitnehmenden und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber durch die Pflicht zur Zeiterfassung nicht verändert werden. Das BAG führte jedoch auch aus, dass tatsächlich bestehende Zeiterfassungssysteme die Darlegung der Überstunden für Arbeitnehmer erleichtern können. Voraussetzung ist, dass die Erfassung der Arbeitszeiten unter Mitwirkung des Arbeitgebers erfolgt (beispielsweise durch Abzeichnung).
Handlungspflichten des Betriebsrats
Das BAG hat ein Initiativrecht des Betriebsrates verneint – der Betriebsrat kann also nicht einseitig vom Arbeitgeber verlangen, dass ein Zeiterfassungssystem eingeführt wird. Wenn Arbeitgeber ein elektronisches Zeiterfassungssystem einführen, ist hierbei jedoch zu beachten, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens der Mitarbeiter (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) hat. Sollten die Arbeitszeitberichte vollständig in Papierform erfasst werden, dann ist der Betriebsrat nicht zu beteiligen.
Darüber hinaus hat der Betriebsrat jedoch darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Verordnungen durchgeführt werden. Die Überwachungspflicht bezieht sich auch auf die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes. Hierzu hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die hierfür erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Der Betriebsrat ist jedoch kein übergeordnetes Kontrollorgan, sodass sich aus dem Überwachungsrecht kein Recht auf Durchführung der Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes ergibt. Selbst wenn der Betriebsrat Verstöße feststellt, kann lediglich der betroffene Arbeitnehmende und nicht der Betriebsrat die Durchführung der gesetzlichen Regelung gerichtlich durchsetzen. Der Betriebsrat kann auch nach dem Urteil des BAG nicht über seine Überwachungspflicht eine Arbeitszeiterfassung erzwingen.
Sofortiger Handlungsbedarf für Arbeitgeber?
Grundsätzlich gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits ab sofort. Nichtsdestotrotz müssen Arbeitgeber nicht überstürzt reagieren. Zwar sieht das Arbeitszeitgesetz ein Bußgeld bei Verstoß gegen die Auszeichnungspflicht von Überstunden vor, jedoch ist die Grundlage für die Pflicht zur allgemeinen Arbeitszeiterfassung das Arbeitsschutzgesetz. Das knüpft wiederum keine unmittelbaren Folgen an Verstöße. Erst wenn einer entsprechenden Anordnung einer Arbeitsschutzbehörde nicht Folge geleistet wird, kann ein Bußgeld verhängt werden.
Im Sinne der Vorsorge sollten Arbeitgeber jedoch nicht zu lange warten und sich zwingend darüber Gedanken machen, welches Zeiterfassungssystem für das eigene Unternehmen sinnvoll als auch umsetzbar erscheint und wie es implementiert werden könnte.
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