"Impulse schaffen!"
Haufe Online-Redaktion: Was macht für Sie eine agile Arbeitsorganisation aus?
Thorsten Heilig: Am Ende geht es immer um "Mindset". Es gibt viele Tools, viele Methoden, aber am Ende sind "Mindset" und Kultur das Wichtigste, damit sich bestehende Organisationen verändern oder neue den Zugang zu Agilität bekommen. Dazu gehören vor allem Themen wie Befähigung, Transparenz und Vertrauen. Befähigung der Teams und Führungskräfte, weil Agilität ein neues Führungsverständnis und damit eine neue Aufteilung und Organisation der Arbeit bedeutet.
Es gibt viele Tools und Methoden für agiles Arbeiten, aber am Ende geht es immer um ein "Mindset".
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Transparenz ist wichtig: Wenn Selbstverantwortung – und das heißt eben auch Entscheidungen zu treffen und verantwortlich Aufgaben selbstorganisiert zu bearbeiten – in die Teams gegeben wird, dann müssen auch die nötigen Informationen dafür bereitgestellt werden. Und: Da agile Organisationen sich weg von einer klassischen Kontrollkaskade hin zu mehr Autonomie entwickeln, bedeutet das letztlich Vertrauen in das, was die Teams tun.
Haufe Online-Redaktion: Mit welchen weiteren Begriffen würden Sie Agilität definieren?
Heilig: Neben den genannten Stichworten? Iteratives Vorgehen mit ständigen Lernschleifen; Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Teams unterstützen; Dinge beenden, wenn sie nicht funktionieren; Dinge ausbauen, wenn sie gut funktionieren; immer weiter lernen.
Haufe Online-Redaktion: Wie ist Moovel aufgestellt? Als Projektorganisation oder gibt es eine klassische Organisationsstruktur?
Heilig: Wir haben zwar "Team Leads" und ein "Leadership Team" mit Bereichsleitung, aber ich glaube, dass Führung gerade in der agilen Produktentwicklung nicht mehr nur die Sache von Einzelnen ist. Da wird per se – wenn man sich die verschiedenen Methoden anschaut – Führung geteilt. Das heißt: Wir haben klassische Team-Leads, wir haben aber auch die Rolle des "Product Owner" bei uns besetzt. Oder: Wir haben einen "Agile Coach" und natürlich das Team mit einer starken Verantwortung. Das zeigt die Aufteilung der Führungsverantwortung, sodass die Organisationsebenen automatisch nicht mehr jeden Tag sichtbar oder überbetont werden.
Bei der Führung geht es um Aufgabenorientierung, nicht mehr um Kaskadenorientierung.
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Es geht vielmehr um eine Aufgaben- und nicht mehr – wenn man so will – um eine Kaskadenorientierung. Bei der Ausgestaltung der Organisationsform befinden wir uns bei Moovel grundsätzlich in einer Entwicklung. Nach der Ausgründung im vergangenen Jahr sind wir noch relativ neu als Organisation. Wie bei vielen anderen Unternehmen auch ist der Agilitätsgrad innerhalb der Organisation unterschiedlich. In der Produktentwicklung ist er beispielsweise sehr hoch im Vergleich zu anderen Bereichen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass in den jeweiligen Bereichen eine andere Logik greift. Wir sind aber auf einem guten Weg, das weiter voranzutreiben.
Haufe Online-Redaktion: Welche Bedeutung kommt da dem HR-Bereich zu?
Heilig: Ich glaube, dass HR hierbei wichtige Impulse und Interventionen setzen kann. Dabei versucht "People & Organization", wie unser Bereich heißt, Treiber zu sein und Dinge zusammenzuführen, sodass man Organisationsentwicklung sozusagen auch in Iterationen betreibt, Dinge einfach mal ausprobiert und "Success Stories" aus Teams in andere Organisationsteile verbreitet. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig, um der Komplexität gerecht zu werden.
Haufe Online-Redaktion: Was wären Beispiele für solche Erfolgsgeschichten?
Heilig: Grundsätzlich sind wir zwar schon in einem Zukunftsmarkt unterwegs. Wir haben aber beispielsweise auch ein dreiköpfiges Lab, das noch ein wenig experimenteller arbeitet, was Methoden, Zusammenarbeit oder Projekte betrifft, die sie da vorantreiben. Momentan versuchen wir nun zum Beispiel das Format "How we innovate" aus dem Lab zurück in die Organisation zu spielen. So kann das Lab für verschiedene andere Bereiche eine Art interner Innovationsmotor sein. Es funktioniert als interner Vernetzer und unterstützt so verschiedene Innovationsprojekte.
Ein komplexes System kann man nicht in eine geradlinige Richtung stoßen. Man muss an verschiedenen Stellen Impulse geben.
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Das ist für mich auch die nächste Stufe: Ein komplexes System kann man nicht in eine geradlinige Richtung stoßen. Wir sollten daher versuchen, Impulse zu geben, dass sich das komplexe System weiterbewegt. Und genau das machen wir: an verschiedenen Stellen Impulse geben, Interventionen starten, zu befähigen und dann auch die Verantwortung in das jeweilige Team geben und schauen, was funktioniert besser und was vielleicht auch schlechter.
Haufe Online-Redaktion: Sie sprachen davon, dass Sie sich organisatorisch noch entwickeln. Wo möchten Sie da in einem Jahr stehen?
Heilig: Wir haben mit der Moovel-App ein digitales Produkt und damit als Organisation einen starken Produktfokus. Daher ist für uns die Produkt- und User-Orientierung der erste Schritt, um darauf ausgerichtet unsere Teams aufzubauen. Dafür wenden wir zum Beispiel auch die Squad-Logik an, die durch Spotify bekannt ist – natürlich auf uns angepasst. Konkret heißt das: Wir werden uns an den vorhandenen agilen Modellen, wie zum Beispiel Scrum, Kanban oder Squad-Logik, orientieren, um unsere – nicht starre – Systemlogik weiter auszubauen. Das soll uns helfen, uns noch stärker auf Produkt und User zu konzentrieren. Denn meiner Meinung nach braucht jedes Produkt eine individuelle Organisationsform. Es sind einfach andere Anforderungen, je nachdem, ob wir von feature-basiert, "end to end" oder von Miniprodukten autonomer Teams sprechen. Da sind wir auch gerade am Ausprobieren, welche Form langfristig Erfolg verspricht.
Wir wollen uns auf Produkt und User konzentrieren. Jedes Produkt braucht eine individuelle Organisationsform.
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Haufe Online-Redaktion: Wie können sich in alten Hierarchien verhaftete Unternehmen hin zu einer agilen Organisation verändern?
Heilig: Das ist sehr unternehmensabhängig. Ich denke aber, dass auch hier iterative Impulse helfen, um sich zu entwickeln. In den vergangenen Jahren haben wir eine Veränderung von der Hand- zur Kopfarbeit erlebt, was zu einer Subjektivierung der Arbeit führt. Wenn wir also eine Subjektivierung annehmen, dann müssen wir die Menschen selbst sowie die Beziehungen in einem – nennen wir es – Netzwerk zwischen den Mitarbeitern einer Organisation in den Fokus rücken. Das entspricht dem agilen Grundsatz "individuals and interactions over processes and tools" – übrigens nicht "statt", sondern "over". Das bedeutet: individuelle Lösungen, Impulse, Beispiele schaffen, an denen man sieht, wie es funktionieren kann, Kultur und "Mindset" zu verändern.
Haufe Online-Redaktion: Ähnlich dem angesprochenen Lab, das auch nach innen arbeitet und so als Vorbild dient?
Heilig: Ja. Ich glaube an eine Art Stufenmodell. Viele Organisationen haben zum Beispiel eine Software-Abteilung, die schon agil funktioniert und bei der man sich etwas abschauen kann. Neulich habe ich vom Beispiel einer Rechtsabteilung gehört, die sich agil aufgestellt hat. Auch bei uns möchte ich meinen Bereich komplett agil aufbauen. Das braucht jedoch etwas Zeit und Erfolgsgeschichten, um zu sehen, an welchen Stellen das funktionieren kann. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, dass der Prozess und die Diskussion wichtig sind, um alle Leute mitzunehmen. Wobei es in manchen Situationen auch spannend ist, Dinge einfach auszuprobieren. Letztlich bleibt das Spannungsfeld, in welcher Geschwindigkeit man Dinge einführt oder sich zunächst entwickeln lässt.
Es braucht Zeit und Erfolgsgeschichten, um zu sehen, an welchen Stellen agiles Arbeiten funktionieren kann.
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Haufe Online-Redaktion: Stichwort Rechtsabteilung: Sind agile Formen auch außerhalb der Softwareentwicklung geeignet?
Heilig: Absolut. Ich bin davon überzeugt, dass Agilität nicht nur für IT oder Software-Entwicklungsprojekte ein Erfolg versprechendes Modell ist. Aber die Softwareentwicklung kann eben eine solche Erfolgsgeschichte sein, um einen Impuls in der Organisation zu setzen. Auch wenn dies dann nicht immer und überall im allerhöchsten Reifegrad umgesetzt wird. Denn für manche Bereiche ist eine Veränderung definitiv schwieriger. Aber es geht nicht darum, ausschließlich agile Tools einzusetzen. Vielmehr geht es – wie gesagt – um "Mindset". Und, ganz entscheidend: Am Ende des Tages ist es eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit.
Wir müssen uns die Leichtigkeit und Schnelligkeit bewahren. Davon darf kein Unternehmensteil getrennt sein.
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Nehmen wir das Beispiel Moovel: Wir sind international auf einem komplexen und extrem dynamischen Markt mit großen Playern unterwegs. Das ist herausfordernd und spannend, bedeutet aber auch: Wir müssen uns die Leichtigkeit, Schnelligkeit und das Immer-wieder-neu-Erfinden bewahren. Davon darf kein Unternehmensteil getrennt sein, sondern es muss eine gemeinsame Unternehmensausrichtung geben. Der Reife- und der Organisationsgrad von Agilität – auch bezüglich der angewandten Tools – mag unterschiedlich sein. Das ist auch gut so. Die grundsätzliche Einstellung muss aber in diese Richtung gehen.
Das Interview führte Michael Miller.
Buchtipp:
Wir sind Chef. Wie ein unsichtbare Revolution die Unternehmen verändert.
Hermann Arnold, Gründer des Softwareunternehmens Umantis, das mittlerweile zur Haufe-Gruppe gehört, plädiert in seinem Buch "Wir sind Chef" für agile Methoden und Denkweisen in der Führung, erläutert den "Haufe Quadranten" als Analysetool und zeigt auf, wie Agilität in Command-and-Control-Strukturen implementiert werden kann.
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