Jeder Fünfte ist atypisch beschäftigt
Bei der Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung stützen sich die Studienautoren Dr. Eric Seils und Dr. Helge Baumann auf Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamts. Auf dieser Basis haben die Forscher detaillierte Werte für 2017 berechnet – dem aktuellsten Jahr, für das derzeit Daten vorliegen.
Atypische Beschäftigung: Definition
Als atypisch beschäftigt gilt, wer in Teilzeit arbeitet, einen Minijob hat oder befristet beziehungsweise als Leiharbeiter angestellt ist. Ausgenommen sind Menschen, die eine Ausbildung machen, in einem Ferienjob arbeiten oder etwa einen Dienst wie den Wehrdienst leisten. Als Kernbeschäftigte gelten Arbeitnehmer im Alter zwischen 15 und 64 Jahren.
Entwicklung der atypischen Beschäftigung in Deutschland
Teilzeit, Befristung und Leiharbeit waren von Anfang der 1990er-Jahre bis zur Finanzkrise auf dem Vormarsch. Seit 2010 ist der Anteil dieser atypischen Arbeitsverhältnisse an der sogenannten Kernerwerbstätigkeit – darin sind etwa Auszubildende, Schüler, Studierende oder jobbende Rentner nicht enthalten – wieder ein wenig gesunken und verharrte zuletzt bei rund 21 Prozent. 1991 waren es erst knapp 13 Prozent, auf dem Höhepunkt 2007 waren es 22,6 Prozent. Aktuell liegt der Anteil atypischer Beschäftigungsformen in Deutschland bei 20,8 Prozent.
Atypische Beschäftigung nach Geschlecht: Frauen in Teilzeit dominieren
Die WSI-Studie zeigt: Atypische Beschäftigung verteilt sich keineswegs gleichmäßig auf Bevölkerungsgruppen und Regionen. Zwei Drittel des Zuwachses seit der Wiedervereinigung gehen auf die Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung unter Frauen in Westdeutschland zurück. Dementsprechend sind bundesweit 30,5 Prozent aller kernerwerbstätigen Frauen atypisch beschäftigt, wobei Minijobs und Teilzeitarbeit dominieren. Unter den Männern haben 12,2 Prozent einen atypischen Job. Bei ihnen spielen Leiharbeit und befristete Beschäftigung eine vergleichsweise große Rolle.
Atypische Beschäftigung nach Alter: Vor allem Jüngere betroffen
Schaut man auf den Durchschnitt beider Geschlechter, stecken vor allem jüngere Beschäftigte in atypischen Jobs. Unter den 15- bis 24-Jährigen gilt dies für 30,9 Prozent. Wesentlicher Grund: Berufsanfänger erhalten häufig erst einmal nur einen befristeten Vertrag. Die Quote geht dann in der Altersgruppe zwischen 25 und 34 Jahren auf 22 Prozent zurück, sinkt danach weiter leicht, um in der Altersgruppe 55 Plus wieder etwas anzusteigen. Allerdings sind die Trends unter Männern und Frauen zeitweilig unterschiedlich: Bei weiblichen Beschäftigten steigt die Quote in der Phase der Familiengründung zwischen 35 und 44 Jahren zunächst wieder kräftig an.
Zahl der atypisch-beschäftigten Ausländer nimmt zu
Überdurchschnittlich häufig atypisch beschäftigt sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne deutschen Pass. Der Anteil reicht von 25,3 Prozent unter Ausländerinnen und Ausländern aus den "alten" EU-15-Ländern bis zu 35,3 Prozent unter Menschen, die aus Staaten außerhalb der EU stammen. Während die Zahl atypisch Beschäftigter ohne deutsche Staatsangehörigkeit in den vergangenen Jahre um knapp 500.000 zugenommen hat, ging sie unter deutschen Frauen (-447.000) und Männern (-183.000) um insgesamt 630.000 zurück.
Einflussfaktor Bildungsgrad
Auch der Bildungs- und Berufsabschluss beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, atypisch beschäftigt zu sein. Während 36,6 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne anerkannte Berufsausbildung befristet, in Teilzeit oder Leiharbeit tätig sind, liegt die Quote bei Beschäftigten mit abgeschlossener Lehre oder Berufsfachschule bei 20,7 Prozent. Am niedrigsten ist sie unter Menschen mit Hochschulabschluss: 14,3 Prozent. Eine Ausnahme bildet die befristete Beschäftigung: Von dieser Erwerbsform sind einerseits Kernerwerbstätige ohne Berufsausbildung und anderseits solche mit einem Hochschulabschluss überproportional betroffen. Letzteres spiegelt die große Verbreitung befristeter Beschäftigung an den Hochschulen.
Atypische Beschäftigung nach Bundesländern: Bremen mit höchstem Anteil, Brandenburg mit niedrigster Quote
Regional steht das Bundesland Bremen mit gut 26 Prozent atypischer Beschäftigung an der Spitze. Es folgen das Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit Quoten zwischen knapp 23 und 24 Prozent. Niedersachsen und Hessen verzeichnen Anteile von rund 22 Prozent, Bayern knapp 20 Prozent. Interessant: Sowohl in Bremen als auch in Bayern geben männliche Beschäftigte den Ausschlag. Ihre Quote atypischer Beschäftigung ist in dem norddeutschen Stadtstaat weit überdurchschnittlich (20,4 Prozent), während sie im Freistaat bei lediglich knapp neun Prozent liegt.
Atypische Beschäftigung im Ost-West-Vergleich
Generell deutlich niedriger sind die Quoten in Ostdeutschland, wo Frauen seit langem weitaus häufiger in Vollzeit arbeiten und die öffentliche Kinderbetreuung stärker ausgebaut ist. Den bundesweit niedrigsten Wert weist Brandenburg mit 14 Prozent auf. Zudem ist die atypische Beschäftigung zuletzt im Osten spürbar gesunken, während sich im Westen nur wenig verändert hat. Daher ist die Differenz zwischen ostdeutschen (durchschnittliche Quote 16,3 Prozent 2017) und westdeutschen (21,8 Prozent) Bundesländern mit aktuell 5,5 Prozentpunkten deutlich größer als Mitte der 1990er (gut 1 Prozentpunkt) oder 2000er (rund 3,5 Prozentpunkte) Jahre.
Fazit der Studienautoren
Dass die atypische Beschäftigung im gesamtdeutschen Durchschnitt in den vergangenen Jahren zumindest leicht zurückgegangen ist, führen die WSI-Wissenschaftler auf die vergleichsweise gute Konjunktur zurück, die wieder vermehrt Normalarbeitsverhältnisse entstehen ließ. Zudem gehen Frauen in jüngster Zeit etwas seltener Teilzeitbeschäftigungen mit sehr geringer Stundenzahl nach. Dennoch betonen Seils und Baumann, dass das aktuelle Niveau der atypischen Beschäftigung weiterhin hoch sei. Daher raten sie, "den Trend zu längeren Arbeitszeiten teilzeitbeschäftigter Frauen durch politische Maßnahmen zu flankieren." Ein weiterer Ausbau der Kinderbetreuung sei ein Baustein dazu. Wenn mehr Frauen ihre Arbeitszeit ausweiteten, vergrößere das zum einen ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, auch im Rentenalter. Zum anderen ließe sich damit auch die prognostizierte Verknappung von Arbeitskräften dämpfen.
Den vollständigen Bericht finden Sie hier: WSI Policy Brief Nr. 34 06/2019 - Trends und Verbreitung atypischer Beschäftigung
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