So wenige Azubis – so viele Ideen
Den Negativtrend belegen aktuelle Zahlen aus dem "Berufsbildungsbericht 2016", den die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka diese Woche vorgestellt hat: Demnach sank die Zahl der neuen Azubiverträge voriges Jahr im Vergleich zum Ausbildungsjahr 2014 erneut auf gut 522.000.
Zugleich blieben viele Lehrstellen unbesetzt - mit rund 41.000 wurde demnach der höchste Stand seit 1996 verzeichnet. Das verwundert kaum, denn laut Bericht bildet nur noch jede fünfte Firma in Deutschland überhaupt aus.
Destatis: Allzeittief neuer Ausbildungsantritte
Die Zahlen im Berufsbildungsbericht beruhen auf dem Datenreport zum Berufsbildungsbericht des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), der jährlich zeitgleich zum Berufsbildungsbericht veröffentlicht wird.
Vorab hatten schon Zahlen des Statistischen Bundesamts auf den Negativtrend hingewiesen. Die Statistiker, die im Gegensatz zum BIBB nicht das Ausbildungsjahr, sondern das Kalenderjahr 2015 betrachteten, zählten insgesamt nur rund 516.200 Ausbildungsantritte im vergangenen Jahr. Im Jahr 2014 seien noch 2.200 Verträge mehr abgeschlossen worden. Laut Berechnung der Wiesbadener Statistiker ist dies sogar ein Allzeittief: Noch nie starteten demnach in Deutschland so wenige Menschen in eine duale Ausbildung wie 2015.
Gegenmaßnahmen: Infokampagne und Orientierungspraktika
Kaum sind die Zahlen bekannt, schon positionieren sich Politiker, Gewerkschafts- und Wirtschaftsvertreter, um für Gegenmaßnahmen zu werben. Bildungsministerin Johanna Wanka möchte bei der potenziellen Azubi-Zielgruppe früh ansetzen und spricht sich für mehr Werbung in den Schulen aus: Es gelte, Schüler der 7. und 8. Klassen über die Vorteile einer dualen Ausbildung aufzuklären.
Um die betriebliche Ausbildung besser ins Bewusstsein junger Leute zu bringen, will Wanka nun mit einer breit angelegten Info-Kampagne die gesellschaftliche Bedeutung von Lehrberufen verdeutlichen. Die zuletzt vom Ministerium gestartete Kampagne "Du + Deine Ausbildung = Praktisch unschlagbar" setzt beispielsweise auf Motive mit ungewöhnlichen Berufsbezeichnungen: Auf großflächigen Plakaten und im Internet werden "Gesellschaftsbeweger", "Alleszusammenhalter" und "Fachkräfte für Weiterkommenwollen" gesucht. Bei einer bundesweiten Infotour mit rund 90 Stopps unter anderem in Schulen, auf Bildungsmessen und Festivals können sich Jugendliche von Experten zur beruflichen Orientierung beraten lassen.
Auch der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Achim Dercks, sprach sich schon Anfang April gegenüber "Der Welt" für eine "eine frühzeitige und gute Berufsorientierung" aus. Außerdem könnten junge Leute so ihre Erwartungen an einen Beruf frühzeitig mit der betrieblichen Wirklichkeit abgleichen – beispielsweise im Rahmen von Orientierungspraktika.
Alternative Zielgruppen wieder in der Diskussion
Auch die oft gehörte Forderung, dass die Betriebe sich für alternative Zielgruppen öffnen sollten, wird rund um den gerade veröffentlichten "Berufsbildungsbericht" wieder heiß diskutiert – wie im Vorjahr auch. "Wenn die Zahl der Ausbildungsverträge seit mehreren Jahren sinkt, liegt dies vielmehr an der mangelnden Integrationskraft des dualen Systems für junge Menschen mit schlechten Startchancen", beklagt etwa die stellvertretende Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Elke Hannack. Die Betriebe müssten "sich wieder mehr für junge Menschen mit maximal einem Hauptschulabschluss öffnen".
Derzeit bleiben in Industrie und Handel laut einer DGB-Studie viele Ausbildungsangebote Hauptschülern von vornherein verwehrt: 62 Prozent aller angebotenen Ausbildungsplätze in der IHK-Lehrstellenbörse schließen diese Gruppe von Bewerbungen aus, so das Ergebnis der Analyse. "Das gilt selbst für Hotels und Gastronomie. Dabei klagt die Branche seit Jahren über unbesetzte Ausbildungsplätze", so Hannack.
Auch weibliche Auszubildende sind laut einem Report, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, nicht nur in geringerem Maße in der dualen Berufsausbildung vertreten sind, sondern sich immer noch zu sehr auf wenige Lehrberufe konzentrieren, etwa Bürokauffrau oder medizinische Fachangestellte.
Duale und akademische Ausbildung sollen durchlässiger werden
Um neue Bewerbergruppen für eine Ausbildung zu begeistern, will Wanka auch die Durchlässigkeit zwischen dualer und akademischer Ausbildung in beide Richtungen stärken. "Denn viele Eltern haben zunächst Angst, dass ihre Kinder in eine Sackgasse geraten – daher möglichst Gymnasium, möglichst Abitur, möglichst höchster Abschluss. Wenn aber klar ist, dass man auch über eine duale Ausbildung in ein Studium gelangen kann, können Eltern gelassener beobachten, wofür sich ihre Kinder wirklich interessieren, wo ihre Fähigkeiten liegen", hofft die Bildungsministerin.
Damit sich Studienabbrecher mehr für Lehrstellen interessieren, sollten diese "auch nicht wieder bei Null anfangen in einer dualen Ausbildung", erklärte Wanka. Dabei unterstütze der Bund diese jungen Menschen "gemeinsam mit Hochschulen und Kammern". Ferner verwies die Ministerin auf das neue Meister-Bafög. "Angehende Handwerksmeister finden ab August vergleichbare Bedingungen vor wie ein Student."
Studienabbrecher: beliebt, aber nicht hofiert
Frühere Studien hatten bereits ergeben, dass Studienabbrecher bereits eine begehrte Zielgruppe der Recruiter in Ausbildungsbetrieben sind. Das bestätigt nun auch eine aktuelle Betriebsbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), an der sich rund 570 Ausbildungsbetriebe beteiligt haben.
Allerdings sind die Ausbilder offenbar gegen eine Sonderbehandlung dieser Zielgruppe: So lehnen 80 Prozent der Betriebe die Überlegung einer generellen Freistellung von Studienabbrechern vom Berufsschulunterricht ab. Auch die Idee, separate Berufsschulklassen für Studienabbrecher einzurichten, findet bei mehr als der Hälfte der befragten Betriebe keinen Anklang.
Allerdings bewerten immerhin rund 30 Prozent diesen Ansatz als "gut" oder "sehr gut". Ein Teil der Betriebe hält dies anscheinend für ein geeignetes Instrument, um die Attraktivität der dualen Berufsausbildung für Studienabbrecher zu erhöhen.
Freistellung macht Ausbildung kaum attraktiver
Durchwachsen fällt das Votum der Unternehmen bei der Frage aus, ob die Ausbildungszeit für Studienabbrecher weiter verkürzt werden sollte. Das Berufsbildungsgesetz erlaubt es bislang, die Ausbildungszeit für Jugendliche mit Fachhochschulreife oder Abitur ihre Ausbildungszeit um zwölf Monate zu reduzieren. Rund die Hälfte der befragten Betriebe spricht sich dagegen aus; rund ein Drittel würde eine solche Sonderregelung begrüßen.
Offenbar ist aber die Überlegung, Studienabbrechern mit einer kompletten oder teilweisen Freistellung entgegenzukommen, gar keine geeignete Stellschraube, um die die Attraktivität der betrieblichen Ausbildung zu erhöhen. Denn eine weitere Befragung des BIBB in Kooperation mit der Universität Maastricht unter Studenten verdeutlicht, dass für die Mehrheit von ihnen im Falle eines Wechsels von der Hochschule in die duale Berufsausbildung die Frage eines gesonderten oder gänzlich wegfallenden Berufsschulunterrichts kaum von Belang ist und auch nicht dazu beiträgt, die Attraktivität einer dualen Berufsausbildung zu steigern.
Flüchtlinge als Retter der dualen Ausbildung?
Können vielleicht auch die kürzlich zugezogenen Flüchtlinge helfen, das duale System zu retten? Auch dies ist ein Ansatzpunkt für Wirtschaft, Arbeitsämter und Regierung: So sollen rund 10.000 junge Flüchtlinge rasch mit einem Qualifizierungsprogramm für die Ausbildung im Handwerk fit gemacht werden. Wanka stellt dafür 20 Millionen Euro zur Verfügung, die Bundesagentur für Arbeit zieht mit.
Und auch die Industrie- und Handelskammern haben ein Aktionsprogramm gestartet, um Flüchtlinge für die duale Ausbildung zu gewinnen.
Den kompletten " Berufsbildungsbericht 2016" können Sie downloaden.
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