Gesund in der hybriden Welt
Seit zwei Jahren hat das Corona-Virus die Gesellschaft und Arbeitswelt fest im Griff, gerade im März 2022 erreichte die Inzidenz Höchstwerte. Mit zu den Verlierern in Folge der Pandemie gehört die betriebliche Gesundheitsförderung, da aus Gründen der Kontaktbeschränkung die Mehrzahl der Maßnahmen ruhen und ersatzweise nur digitale Lösungen angeboten werden. Gesundheitsmanager in Betrieben unterstützen bei der Kontaktnachverfolgung, beim Quarantänemanagement und, sofern die Zeit vorhanden ist, planen sie gemeinsam mit HR auch das Wiederhochfahren des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Und das aus gutem Grund, denn der Bedarf für Gesundheitsprogramme ist in der Pandemie deutlich gestiegen: Themen wie Stress, Ängste, Depressionen, Suchtprobleme, häusliche Gewalt, Einsamkeit, Existenzängste, Kurzarbeit, Mehrfachbelastungen durch Kinderbetreuung zuhause aufgrund von Quarantäneregelungen und zudem noch das Befolgen nicht mehr überschaubarer Corona-Regeln gehören ebenso zur Corona-Pandemie wie das Virus selbst. Zwar sind nicht alle Themen neu, doch treten sie deutlich häufiger auf, weshalb nun das große Anpacken beginnen muss.
Gesundheitsmanagement: heute so wichtig wie nie zuvor
Der Bedeutungszuwachs des BGM ist aber auch durch steigende Belastungen infolge der neuen Arbeitsformen wie Homeoffice, mobilem oder hybridem Arbeiten, also einem Wechsel des Arbeitsorts zwischen Zuhause und vor Ort in der Firma, begründet. Nach wie vor wird die Arbeitstätigkeit im Homeoffice in zahlreichen Untersuchungen eher positiv bewertet. Zugleich bemängeln jedoch viele Beschäftigte die Ergonomie zu Hause und wünschen sich wieder mehr Austausch vor Ort mit ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen.
Daher diskutiert man zunehmend auch im Personalmanagement das Für und Wider hybrider Arbeit. Vorteile für die Beschäftigten zeigen sich insbesondere in der besseren Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Arbeit, geringeren Pendelzeiten zur Arbeit und der Entlastung bei den Tankkosten. Zugleich bleiben aber auch die Herausforderung für die arbeitsschutzkonforme und ergonomische Gestaltung des Heimarbeitsplatzes und Schwierigkeiten der Motivation und Führung auf Distanz; zur Sicherstellung einer stressfreien Kommunikation und eines sicheren Datenaustauschs bedarf es entsprechender Konzepte und technischer Ausstattung.
Vier Thesen für eine gesunde Arbeitswelt
Die vier nachfolgenden Thesen hatten wir anlässlich des Thementags "Hybride Arbeitswelten" Anfang 2022 auf dem IBA-Forum (www.iba-forum.com) entwickelt. Sie nennen das Szenario an Anforderungen, die die neue Arbeitswelt an die Gesundheit der Beschäftigten stellt und zeigen auf, was für die Bewältigung dieser Herausforderungen notwendig wird. Denn hybrides und gesundes Arbeiten stellt sicherlich für viele Beschäftigte wie Unternehmen eine mögliche Zukunftsformel dar.
Aufgrund der Vielfalt von Berufen, Tätigkeiten, Unternehmensformen und individuellen Lebensentwürfen können die neuen Arbeitsformen aber nicht als Blaupause vorgegeben werden. Neue Arbeitsformen müssen vielmehr gemeinsam mit den Beschäftigten entwickelt und immer wieder angepasst werden. Dies gilt nicht nur als heutiges Verständnis der Arbeitswelt, vielmehr wird es zum Erfolgsfaktor der Zukunft werden.
These 1: Gesundheit im Betrieb braucht modifizierte Regeln
Die Methodik des Arbeitsschutzes sowie die Regelung zur Arbeitszeit decken nicht vollständig das heutige Verständnis von Unternehmen und Beschäftigten in Bezug auf Arbeitsgestaltung und neue Arbeitsformen ab. Forderung: Die gesetzlichen Regelungen von Arbeitsschutz und Arbeitszeitgesetz gehören auf den Prüfstand!
Diese These greift die bekannten Herausforderungen unserer neuen beziehungsweise veränderten Arbeitswelt auf, welche oftmals als Arbeitswelt 4.0, VUCA-Welt oder unscharf auch mit New Work bezeichnet wird. In Studien konnte aufgezeigt werden, dass die neuen Arbeitsformen, die Digitalisierung und Technisierung sowohl Potenziale für gesundes Arbeiten bieten, sich zugleich aber auch je nach Art und Umsetzung Gesundheitsrisiken ergeben können. Hier stellt sich die Frage, ob die bekannten Methoden und Instrumente zur Gefährdungsbeurteilung sowie Richtwerte – zum Beispiel zur Arbeitszeitgestaltung durch das Arbeitszeitgesetz – noch tauglich sind, um die veränderten Gegebenheiten zu erfassen und optimal zu regeln.
These 2: Hybride Arbeit benötigt ein entsprechendes Mindset
Hybrides Arbeiten und agile Arbeitsorganisation erfordern ein entsprechendes Mindset. Nicht jeder Mitarbeiter will hybrides Arbeiten, nicht jedes Unternehmen hat eine entsprechende Unternehmenskultur. Gelingt dies nicht, können auf Grund der Divergenz zwischen Schaffung neuer Arbeitsformen und der inneren Einstellung und Überzeugung bei Beschäftigten Gesundheitsrisiken und nachfolgend -probleme entstehen.
Das Mindset, also die innere Haltung und Denkweise der Beschäftigten, ist eine der großen Herausforderungen für die Umsetzung von hybrider Arbeit. Aber auch die Tätigkeit ausschließlich im Homeoffice, demnach am Telearbeitsplatz gemäß der Arbeitsstättenverordnung, sowie die Arbeit ausschließlich im Büro werden von den Beschäftigten unterschiedlich betrachtet. Wird im Unternehmen lediglich eine der drei genannten Arbeitsformen favorisiert, ohne die Chancen der neuen Arbeitswelt wahrzunehmen, kann dies zu Unzufriedenheit und Demotivation oder sogar zum Jobwechsel von Mitarbeitenden führen. Ist letzterer aus privaten Gründen nicht möglich, können langfristig auch Gesundheitsprobleme entstehen.
These 3: Die Diskussion um New Work darf die Sorge um die Gesundheit der Beschäftigten nicht verdrängen
BGF und BGM müssen deutlich mehr Beschäftigte in die Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen einbeziehen und Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen individueller gestalten. Neue HR-Themen wie hybrides Arbeiten und New Work dominieren zu sehr die HR-Diskussion – altbekannte Problembereiche wie der demografische Wandel, die Problematik des Krankenstands und auch prekäre Arbeitsverhältnisse und -bedingungen wie beispielsweise in der Pflege rücken dabei fahrlässigerweise in den Hintergrund.
Auch wenn in den beiden Corona-Jahren neue Arbeitsformen wie Homeoffice, New-Work-Methoden oder das hybride und mobile Arbeiten großen Zuspruch fanden, so dürfen diese nicht andere, vielleicht jetzt noch wichtigere Themen in den Hintergrund drängen. Nach wie vor bestehen große gesundheitliche Herausforderungen: 53 Prozent der Deutschen sind übergewichtig (Destatis, 2018), 42 Prozent bewegen sich zu wenig (Guthold et al., 2018) und 59 Prozent mangelt es an Gesundheitskompetenz (Schaeffler et al., 2021). Deutschland wird älter, die Erwerbsbevölkerung weniger und in den Betrieben ist mit einer älter werdenden Belegschaft zu rechnen. Bei dieser zeigt sich schon heute, dass mit zunehmendem Alter die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage steigt (Busch, 2021). Daher müssen im Personalmanagement auch diese Themen weiterhin Beachtung finden.
These 4: New Work ist nicht den Büroarbeitenden vorbehalten
Als positiv wahrgenommene Vorteile für die Arbeit im Homeoffice beziehungsweise die auf New Work ausgerichtete Gestaltung von Arbeitsbedingungen richten sich aktuell nur an einen Teil der Beschäftigten, weshalb sozialer Unfrieden im Betrieb vorprogrammiert ist. Flexiblere und attraktivere Arbeitsmodelle müssen auch außerhalb von Bürotätigkeiten Einzug halten.
Diese vierte These betrachtet die unterschiedlichen Personengruppen in Unternehmen oder Organisationen und deren Möglichkeiten zur Homeoffice-Tätigkeit und Umsetzung von New-Work-Methoden in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen. Besonders deutlich wird dies in Firmen mit Büro-, Produktions- und Logistikarbeitsplätzen.
Während Homeoffice in den meisten Fällen nur für Beschäftigte im Büro in Frage kommen dürfte, können andere Methoden und Ideen aus dem Bereich des New Work auch in der Produktion, Logistik, in der Pflege oder im Einzelhandel angewandt werden. Um einen sozialen Unfrieden zu vermeiden, ist es ratsam, in allen Tätigkeitsbereichen Potenziale für eine attraktive Arbeitsgestaltung zu prüfen. Hierbei spielen die Führungsqualität, die sich auch den Möglichkeiten der Führung auf Distanz nicht verschließen darf, und die Möglichkeit der Beschäftigten zur Partizipation eine wesentliche Rolle. Genau dies stellen auch die Methoden eines BGM dar.
Die im Text genannten Quellen finden Sie hier.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 5/2022. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
Das könnte Sie auch interessieren:
Arbeit ohne Grenzen? Herausforderungen der hybriden Arbeitswelt
-
Workation und Homeoffice im Ausland: Was Arbeitgeber beachten müssen
1.993
-
Essenszuschuss als steuerfreier Benefit
1.713
-
Vorlage: Leitfaden für das Mitarbeitergespräch
1.500
-
Ablauf und Struktur des betrieblichen Eingliederungsmanagements
1.276
-
Probezeitgespräche als Feedbackquelle für den Onboarding-Prozess
1.249
-
Krankschreibung per Telefon nun dauerhaft möglich
1.129
-
BEM ist Pflicht des Arbeitgebers
1.031
-
Checkliste: Das sollten Sie bei der Vorbereitung eines Mitarbeitergesprächs beachten
709
-
Das sind die 25 größten Anbieter für HR-Software
514
-
Modelle der Viertagewoche: Was Unternehmen beachten sollten
390
-
Tipp der Woche: Mehr Inklusion durch KI
19.12.2024
-
Gleichstellung in Europa verbessert sich nur langsam
16.12.2024
-
Fünf Tipps für effektive Recruiting-Kampagnen zum Jahresstart
13.12.2024
-
Eine neue Krankenkasse als Zeichen der Fürsorge
11.12.2024
-
Wie Personalarbeit wirtschaftlichen Erfolg beeinflusst
10.12.2024
-
1.000 neue Fachkräfte für den Glasfaserausbau
09.12.2024
-
KI für eine inklusive Arbeitswelt
06.12.2024
-
Weihnachtsgeld: Wer bekommt wie viel?
05.12.2024
-
Mit Corporate Volunteering Ehrenamt ins Unternehmen bringen
05.12.2024
-
Die Angst vor KI lässt nach
05.12.2024