Digitalisierung, Internet of Things, Disruption, cyber-physische Systeme, Industrie 4.0, digitale Transformation – die Medien sind voller Buzzwords, die sich alle rund um ein Thema scharen: die Chancen und Risiken, die sich aus neuen technischen Möglichkeiten ergeben. Jeder der Begriffe setzt einen anderen Schwerpunkt, aber letztlich geht es um die Folgen von mehr IT in Unternehmen, in Produkten und bei Konsumenten.
Lassen Sie uns zunächst etwas Ordnung in die vielen Begriffe und sie so in eine Systematik bringen, die geeignet ist, um sie auf Unternehmen anzuwenden und die Herausforderungen zu identifizieren, vor denen sie stehen.
Digitalisierung vs. Digitale Transformation: Definition der Begriffe
Den Begriff Digitalisierung verwende ich als Überbegriff für alle Veränderungen, die sich daraus ergeben, dass Informationstechnologie immer mehr Möglichkeiten vermittelt.
Mit dem Begriff digitale Transformation bezeichne ich den Übergang eines Unternehmens von einer Organisation, die informationstechnische Möglichkeiten nur für die weitere Automatisierung ihrer Geschäftsprozesse nutzt, zu einer, die diese Möglichkeiten auch in wesentlichem Umfang für ihre Produkte und Geschäftsmodelle einsetzt. In Unternehmen können wir Digitalisierung also differenzieren nach der Digitalisierung von Geschäftsprozessen, Produkten und Geschäftsmodellen.
Die meisten Medienartikel, Beraterfolien und Dienstleisterverheißungen beziehen sich auf diese primären Spielfelder der Digitalisierung. Sie unterscheiden sich vor allem durch das Ausmaß, in dem sie ein Unternehmen verändern.
Digitalisierung der Prozesse
Die Digitalisierung der Prozesse ist das, was Unternehmens-IT seit Jahrzehnten vorrangig tut: Geschäftsprozesse durch Software automatisieren, vor allem, um so Prozesskosten zu senken. Beispielsweise ermöglichte der Einsatz von ERP-Systemen den Abbau von Stellen in Buchhaltung oder Lagerverwaltung. Das war und ist ein kontinuierlicher Prozess der Veränderung, der mit dem Einsatz von Computern in Unternehmen ab den 50er Jahren begann, sich kontinuierlich fortgesetzt hat und mit der Digitalisierung weiter voranschreiten wird.
Das meiste, was sich hinter dem Begriff „Industrie 4.0” verbirgt, ist in diesem „Spielfeld” anzusiedeln. Denn bei Industrie 4.0 geht es um eine zunehmende Vernetzung in Produktion und Logistik mit dem Ziel, die Prozesse zu verschlanken, zu beschleunigen und effizienter zu gestalten. Neu bei Industrie 4.0 ist vor allem, dass die Vernetzung immer mehr auch die Unternehmensgrenzen überschreitet und Systeme und damit Geschäftsprozesse unterschiedlicher Unternehmen verbindet.
Digitalisierung der Produkte
Mit Digitalisierung der Produkte ist der wachsende Anteil des Kundennutzens gemeint, der aus Softwarefunktionen oder digitalen Inhalten entsteht.
Bei einem modernen PKW wird der Kundennutzen aus dem Fahrzeug zu einem wesentlichen Anteil digital erzeugt, z. B. in Form von Assistenz- oder Sicherheitsfunktionen, verbrauchsarmer Motorsteuerung oder von Navigations- oder Unterhaltungssystemen. Auch eine moderne Stereoanlage erzeugt den Kundennutzen zunehmend digital, z. B. durch elektronisch optimierten Klang oder „multi-room”-Vernetzung. Natürlich kann ein Produkt auch rein digital sein. E-Books, PC-Software, Smartphone-Apps, Businesssoftware, Informationsportale, Stellenbörsen, downloadbare Songs usw. wären Beispiele für solche rein digitalen Produkte. Ein Gerät, das aus physischer Hardware, elektronischen Bauteilen (u. a. Sensoren) und einer Softwaresteuerung besteht und das sich mit anderen vernetzen lässt, z. B. über das Internet, nennt man ein cyber-physisches System. Anschauliche Beispiele wären das Smartphone, das „connected car”, ein Geldautomat oder eine moderne Produktionsanlage.
Digitalisierung der Geschäftsmodelle
Die Digitalisierung der Geschäftsmodelle bezieht sich in erster Linie darauf, dass der Nutzen, für den ein Kunde bezahlt, auf Wegen bereitgestellt wird, die durch die Digitalisierung möglich geworden sind.
Besonders augenscheinlich ist das, wenn Unternehmen vom Verkauf von Produkten zum Verkauf von Services wechseln. Wenn also ein Anlagenbauer seine Produktionsanlage nicht als „Stück” verkauft, sondern die Laufzeit oder sogar die Produktionsleistung der Anlage in Rechnung stellt. Oder ein Beispiel aus dem B2C: Ein Kunde hat nicht wirklich Interesse daran, einen Staubsauger persönlich zu besitzen. Was er braucht, ist die Reinigungswirkung. Ein neues Geschäftsmodell bestünde also darin, ihm nicht ein Gerät zu verkaufen, sondern z. B. die Betriebsstunden in Rechnung zu stellen oder, noch besser, die Menge aufgenommenen Staubs (kein Problem für moderne Sensorik) oder – am besten – die Abrechnung an die Menge des Reststaubs zu knöpfen, also die tatsächliche erzielte Sauberkeit – das, was den Kunden eigentlich interessiert.
Beispiele für rein digitale Geschäftsmodelle sind natürlich auch die von Google – Verkauf von Onlinewerbung – oder Apples Appstore. Das sind Plattformmodelle, in denen unterschiedliche Marktteilnehmer zusammengebracht werden: bei Google die Nutzer, die Informationen oder Angebote suchen und die dazu passenden Anbieter, beim Appstore die Nutzer und die Anbieter von Software.
Auch all die Geschäftsmodelle, die sich hinter „sharing economy” verbergen (z. B. Airbnb, Uber oder BlaBlaCar), sind meist rein digitale Geschäftsmodelle, die Besitzer von „irgendetwas” mit den temporären Nutzern zusammenbringen. Der Übergang zwischen digitalen Produkten und digitalen Geschäftsmodellen ist mitunter fließend.
Über den Autor:
Marcus Sassenrath verantwortet die Digitalstrategie der BPW Bergische Achsen KG. 2013 wurde er von der Computerwoche unter die besten CIOs im Mittelstand gewält.
Buchtipp:
Der obige Text ist ein Auszug aus dem Buch "New Management. Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation" von Marcus Sassenrath, das bei Haufe erschienen ist. Sie können das Buch im Haufe-Shop bestellen.