Graphic Recording: Malen statt Mitschreiben

Immer mehr Veranstalter lassen das, was während einer Konferenz an Wichtigem gesagt wird, direkt vor Ort von einem Illustrator in die Sprache der Bilder übersetzen. Es entsteht ein visuelles Protokoll, auch Graphic Recording genannt. Ein Überblick über diese und weitere Methoden der Visualisierung während Meetings oder Kongressen.

Ein Veranstalter von Kongressen und Tagungen, der das Visualisieren beherrscht, ermöglicht es den Teilnehmern schnell, ins Thema einzusteigen und das Wesentliche der Diskussion zu erkennen. Eine Visualisierung hilft dabei, etwas zu erklären und kann zu einem späteren Zeitpunkt zusätzlich auch eine ganz neue Ressource bei der Gewinnung neuer Ideen sein. Es gibt 19 Möglichkeiten, visuelle Methoden bei Meetings oder auf Konferenzen einzusetzen. Dabei gilt: Die Bilder, die ein Illustrator zu Papier bringt, haben immer die Aufgabe, das Verständnis von einer Sache zu vertiefen und die Teilnehmer einer Tagung in Kontakt zu bringen.

Methode 1: Graphic Recording

Graphic Recording ist das Erfassen der Inhalte eines Sprechers mit der Absicht, ein gemeinsames Verständnis und Lernen zu ermöglichen – als großes Wandbild oder digital. Der Graphic Recorder hat dabei eine stille, passive Rolle und visualisiert eine Konferenz oder ein Meeting live in Echtzeit auf inhaltlicher Ebene. Das Ergebnis ist ein visuelles Protokoll, eine weiterverwendbare Dokumentation für Teilnehmer und Publikum.

Methode 2: Visual Facilitation

Visual oder Graphic Facilitation ist das prozessorientierte interaktive Aufzeichnen einer Konversation oder eines Gruppenprozesses mittels Visualisierung in Bild, Text, Symbolen und Metaphern, um die Teilnehmer dabei zu unterstützen, ihre Kernaussagen, Ideen, Muster und Einsichten wahrzunehmen. Es ist ein interaktives Arbeiten mit der Gruppe, um diese anleitend zu führen und dabei zu dokumentieren, was sich im Raum zeigt. Die dabei visuell festgehaltenen Ergebnisse fließen direkt wieder in die Gruppenintelligenz ein. Der Facilitator ist aber kein Teil der Gruppe und hat keine eigenen Interessen im Prozess.

Methode 3: Visual Presentation

Ein Vortrag oder eine Präsentation wird mit Visuals angereichert oder unterstützt. Das kann mit vorbereiteten Charts geschehen oder live beim Sprechen erfolgen. Es kann auf Papier oder digital, von einer oder mehreren Personen aus- und durchgeführt werden. Wichtig ist, dass sich Wort und Bild nicht einfach doppeln, sondern auf parallelen Ebenen auf dasselbe Kommunikationsziel hinarbeiten.

Methode 4: Chartgestaltung

Zahlen, Mengenverhältnisse oder ein datengestützter Verlauf sollen dargestellt werden, der Kompetenzbereich eines Teams soll klar umrissen und verständlich gemacht werden oder Zusammenhänge zwischen Abteilungen sollen schnell nachvollziehbar sein: Auf großen Papierbögen lassen sich viele Inhalte treffend und ansprechend darstellen. Der Vorteil gegenüber Powerpoint: Alle Inhalte sind auf einen Blick sichtbar sind und zwar auch, wenn der Bildschirm aus ist.

Methode 5: Prozessbilder

Reinhard Kuchenmüller hat bereits in den frühen Neunzigern eine Methode entwickelt, bei der er in Meetings und Seminaren prägnante Kernmomente und -sätze festhält und mit einem Bild ergänzt. Statt großer Wandbilder entstehen viele kleine Einzelbilder im Format DIN A5. Der Schwerpunkt liegt auf emotionalen Aspekten.

Methode 6: Key Visuals und interne Bildsprache

Bei einem Projekt, einem Konflikt, einer Herausforderung oder einer Veranstaltungsreihe wird die Zielsetzung mit einem Bild oder Symbol verbunden. Das hilft, den Fokus nicht zu verlieren und auch im Team gleich ausgerichtet zu sein. So kann Kommunikation vereinfacht werden und Zuordnung gelingt schneller und treffender.

Methode 7: Sketchnotes

Sketchnotes sind Graphic Recordings sehr ähnlich. Der Unterschied ist, dass man sie nur für sich selbst anfertigt, üblicherweise auf kleineren Formaten und nicht öffentlich. Es sind persönliche Notizen einer Situation oder eines Vortrags. Es ist eine Form des aktiven Zuhörens, eine Erinnerungshilfe und ein Schlüssel zum tieferen Verständnis.

Methode 8: Gedankenskizzen

Gedankenskizzen sind meist sehr einfache Visualisierungen, die buchstäblich beim Sich-Gedanken-Machen entstehen. Sie verbinden verschiedene Ansätze miteinander und helfen, das eigene Verständnis zu verifizieren. Funktioniert allein oder im Dialog.

Methode 9: Kreativmethoden

Viele bewährte Kreativmethoden lassen sich mit Visualisierung verbinden. Zum Beispiel die 6-3-5-Methode: Sechs Teilnehmer zeichnen oder schreiben in fünf Minuten zu einer Fragestellung je drei Ideen auf einen vorbereiteten Zettel (drei Spalten mit je sechs Kästen). Diese werden dann an den Nachbarn weitergereicht und die zweite Phase beginnt. Nun trägt wiederum jeder drei Ideen ein – inspiriert durch die bereits auf dem Zettel stehenden Lösungsansätze. So entstehen in 30 Minuten 108 Ideen!

Methode 10: Bildwelten

Wenn die Themen komplex und emotional, langfristig angelegt, aber in vielen Punkten noch nicht konkret sind, ist es sinnvoll, mit Bildwelten zu arbeiten. Für die zu bearbeitenden Themen wird eine starke Metapher gefunden, eine Wanderung beispielsweise. Während die Details des Projekts nun innerhalb dieser Metapher diskutiert, angepasst und geschärft werden, wächst eine Landschaft heran, die am Ende alle Aspekte der Thematik abdeckt und mit der sich alle Teilnehmer hochgradig verbunden fühlen.

Methode 11: Lernlandkarten

Lernlandkarten sind die Steigerung von Bildwelten. In hochkomplexen Wimmelbildern werden zum Beispiel alle Prozesse, Verbindungen und Positionen einer Firma dargestellt. Oder ein bevorstehender Prozess wird als Insellandschaft bespielbar gemacht. Lernlandkarten brauchen viel Zeit und Aufmerksamkeit in der Erstellung.

Methode 12: Dialogmaterial

Zu Lernlandkarten kann nach Bedarf umfangreiches Zusatzmaterial erstellt werden. So können bestimmte Aspekte des Bildes hervorgehoben, Vorher-Nachher-Situationen simuliert oder Prozesse verdeutlicht werden.So wird ein Bild vielseitig verwendbar und auch auf unterschiedliche Stakeholder hin anpassbar gemacht.

Methode 13: Erklärfilme

Erklärfilme sind sehr beliebt, haben aber eine besondere Stellung innerhalb visueller Methoden. Viele Erklärfilme sehen so aus: Während ein Text gesprochen wird, entsteht das Bild in dem Moment (Unmittelbarkeit). Der Adressat wird direkt angesprochen und umfassend ins Thema geholt (Glaubhaftigkeit). Der Film spielt mit offenen Karten, meist ist eine Hand oder Ähnliches im Bild (Handarbeit). Ein guter Erklärfilm kann so einen ganz ähnlichen Effekt erzielen wie eine Live-Visualisierung, hat aber den Vorteil, dass die Message sehr gezielt geplant werden kann und bei guter Verbreitung extrem viele Leute den Film sehen. 

Methode 14: Visual Comments

Beim Visual Commenting werden die Visualisierungen für alle Beteiligten sichtbar projiziert, zum Beispiel über eine Dokumenten­kamera. Der Visualisierer steuert dabei die Lesegeschwindigkeit der Betrachter, indem er Zeichnungen schnell oder langsamer ausführt, die Reihenfolge der Entstehung festlegt, Bilder aus dem Kamerabereich entfernt oder sie noch einmal zeigt. So ist ein Dialog ohne Worte möglich und dem Vortrag wird eine parallele Bedeutungsebene hinzugefügt.

Methode 15: Schnappschusszeichnen

Schnappschusszeichnen fällt am ehesten in den Bereich der Event-Illustration: Ein Visualisierer bewegt sich mit leichtem Material ausgestattet auf einer Veranstaltung und hält Momente fest wie ein Fotograf – allerdings in Form von kleinen Scribbles. So entstehen einzigartige Erinnerungen. Eignet sich gut auf Messen, Hochzeiten, Jubiläen, Preisverleihungen.

Methode 16: Embodiment-Feedback

Hier werden in reduzierter Weise die Körpersprache, unterschwellige Signale oder Energieverhältnisse im Körper festgehalten und spiegeln so in behutsamer, aber pointierter Weise die gecoachte Person, den Coachee. Dieses Feedback bedarf eines hohen Maßes an Einfühlungsvermögen, ist dafür aber auch sehr kraftvoll.

Methode 17: Visual Coaching

Wenn bei einem Coaching Emotionen und Gedanken des Coachees über Bilder greifbar und für ihn selbst bewertbar werden, unterstützt das "Visual Coaching" sämtliche Prozesse enorm.

Methode 18: Activity Walls

Hier wird das Publikum zum Mitmachen eingeladen! Aufwendig gestaltete Kreativitätsbereiche laden zum Selbstscribblen, Fotos machen, Kommentare abgeben und vielem mehr ein. Activity Walls sind stets hochgradig personalisiert, einbindend … und dekorativ.

Methode 19: Drei-D-Modelle

Visualisierungen in die dritte Dimension bringen: Aus festem Material, zum Beispiel mit Papier kaschierten Schaumplatten werden Objekte oder Aufsteller im Raum verteilt, die kommunikative oder informierende Aufgaben übernehmen. Vielleicht werden die Teilnehmer am Eingang von einer großen, dreidimensionalen Visualisierung begrüßt oder ein stummer Diener hält ein Schild, auf dem Feedback abgegeben werden kann? Die Visualisierungen erobern den Raum!


Wie auch immer sich das Feld weiterentwickelt, alle Methoden versammeln sich letztlich um ein Feuer, in dem Verständnis, Verbindungen, Partizipation, Kreativität und Herausforderungen brennen. Gemeinsam halten wir das Feuer in Gang – und gemeinsam wärmen wir uns daran. Denn eines ist schließlich sicher: In Zukunft ist "Sichtbarmachen" eine Grundfähigkeit in Kommunikation und Führung!

Malte von Tiesenhausen arbeitet seit 2004 international als freier Illustrator für Agenturen, Firmen und Verlage und wurde mit dem "Deutschen Cartoonpreis 2008" ausgezeichnet. Der Fokus des Hamburgers liegt heute auf der Leitung von Zeichenworkshops und dem visuellen Begleiten von Prozessen.


Es handelt sich hierbei um einen gekürzten Artikel. Der vollständige Beitrag "Konferenzen: Malen statt mitschreiben!" erschien in der Sonderpublikation "Tagen" der Fachzeitschrift "wirtschaft + weiterbildung" aus dem Oktober 2019.


Schlagworte zum Thema:  Visualisierung, Messe, Seminar