HR und disruptive Innovation - passt das zusammen?
Innovationen gelten als Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit und den Erfolg von Unternehmen. Mit Innovationen setzen sich Unternehmen vom Wettbewerb ab, mit Innovationen schaffen sie Angebote für neue Kundenbedürfnisse oder passen sich auf die Veränderung von Märkten und Rahmenbedingungen an. Ein Unternehmen, das ein innovatives Image hat, gilt als attraktiv und zieht die besten Talente an. Muss deshalb nicht auch HR alles dafür tun, um innovativ zu sein?
Stabilität schafft Vertrauen
Ganz so einfach ist die Sache nicht. Eine zentrale Aufgabe von HR ist es, für gute und faire Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu sorgen und die Unternehmenskultur zu gestalten. Grundlage dafür sind verlässliche Prozesse und transparente Richtlinien, die für alle gelten und für Fairness sorgen. Nur wenn diese über einen längeren Zeitraum Gültigkeit besitzen, verstehen die Mitarbeitenden, was von ihnen erwartet wird. Vertrauen und das Gefühl, dass es im Unternehmen fair zugeht, haben allerdings wenig mit Innovation zu tun, es sind die Folgen von Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit. Vertrauen, was der Kern einer mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur ist, braucht stabile, verlässliche und transparente Regeln. Wer ständig Neuerungen einführt und die Regeln verändert, setzt das Entstehen und das Aufrechterhalten einer vertrauenswürdigen Unternehmenskultur aufs Spiel.
Die HR-Abteilungen werden immer wieder dafür kritisiert, auf Regeleinhaltung zu pochen. Der Vorwurf „bürokratisch“ zu agieren, steht häufig im Raum. Das mag manchmal berechtigt sein, weil HR-Prozesse nicht effizient organisiert sind oder Mitarbeitende zu langsam agieren. Doch vielfach richtet sich die Kritik an die Funktion, die HR für die Gesamtorganisation wahrnimmt: Vereinbarte Richtlinien und transparente Verfahren stellen sicher, dass gesetzliche Vorschriften umgesetzt werden, die zur rechtlichen Sicherheit des Unternehmens beitragen und das Risiko von Klagen oder Streitigkeiten reduzieren. Aufgabe von HR ist es, den Geschäftsbereichen genau das immer wieder klarzumachen, auch wenn man sich damit nicht beliebt macht.
Warum HR Innovationen braucht
Doch ebenso wichtig wie Verlässlichkeit ist für HR auch die eigene Innovationskraft. Die Arbeitswelt verändert sich, deshalb müssen Strukturen und Prozesse immer wieder erneuert werden. Dabei geht es nicht nur um die laufende Anpassung bezüglich veränderter gesetzlicher Regularien oder der Nutzung neuer Arbeitsmittel, sondern es geht auch um grundlegende Veränderungen der Arbeitswelt. Solche Veränderungen werden Megatrends genannt. Es handelt sich dabei meist um globale Entwicklungen, die oftmals zeitversetzt und in unterschiedlicher Intensität, aber letztlich doch ähnlich in verschiedenen Ländern und auf unterschiedlichen Kontinenten auftreten. Megatrends sind von einem Zusammenspiel verschiedener Einflüsse und Wechselwirkungen gekennzeichnet, wodurch eine äußerst komplexe Dynamik entsteht.
Für HR relevant sind Megatrends wie New Work, Mobilität, Nachhaltigkeit und Vernetzung, die grundlegende Veränderung der Arbeitswelt mit sich bringen, beispielsweise für Arbeitszeit und -ort sowie die Unternehmenskultur, Mitarbeiterführung oder Recruiting- und Entscheidungsprozesse. New Work erscheint hier auf den ersten Blick zwar als wichtigster Einflussfaktor, doch gerade das Zusammenspiel der verschiedenen Megatrends in Kombination mit der Lebenssituation und den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden führen zu einer besonderen Herausforderung für Unternehmen.
Um Antworten auf diese Veränderung zu finden, braucht HR Innovationen. Dazu gehören inkrementelle Innovationen, als die stetige Verbesserung der bestehenden Produkte und Prozesse, aber auch disruptive Innovationen, mit denen Produkte und Prozesse von HR radikal neu entwickelt und ausgerichtet werden. Von der Fähigkeit zur Innovation hängt nicht nur der langfristige Unternehmenserfolg ab, sondern auch die Leistungsfähigkeit und die Reputation von HR.
Disruptive Innovationen
Disruptive Innovationen haben oft das Potenzial, bestehende Strukturen zu erschüttern und neue Möglichkeiten für eine bessere Employee Experience oder Effizienzsteigerung zu schaffen. Aktuelle Beispiele für technologiegetriebene wie auch soziale Innovationsfelder sind:
- Künstliche Intelligenz (KI) und Automatisierung: Die Integration von KI und Automatisierung in HR-Aufgaben kann Personalrekrutierung, Weiterbildung und viele andere Prozesse optimieren. Chatbots und virtuelle Assistenten unterstützen beispielsweise bei der Beantwortung von Mitarbeitendenfragen oder ermöglichen individualisierte Coachingangebote für alle Mitarbeitenden.
- People Analytics: Durch die Nutzung von Datenanalysen können HR-Abteilungen bessere Vorhersagen über Mitarbeitendenverhalten, Leistung und Fluktuation treffen. Dies ermöglicht eine proaktivere strategische Personalplanung und die Identifizierung von Verhaltensmustern, um bessere Entscheidungen zu treffen.
- Hybride Arbeitswelt: Die Verlagerung vieler Arbeitsplätze ins Homeoffice erfordert innovative Technologien und moderne Tools, um die Kommunikation, Zusammenarbeit und Überwachung der Arbeitsleistung zu erleichtern.
- Digitale Weiterbildung: Eine veränderte Mediennutzung und digitale Lernplattformen schaffen neue Lernangebote, damit sich Mitarbeitende schnell auf die Veränderung der Arbeitswelt anpassen können.
- Diversity und Inklusion: Veränderte Werthaltungen, aber auch Anti-Diskriminierungsgesetze, erfordern neue Karrierepfade und veränderte Formen der Arbeitsorganisation.
- Nachhaltigkeit: Die Dekarbonisierung ist eine der größten globalen Herausforderungen, die für Unternehmen viele radikale Veränderungen der Arbeits- und Produktionsprozesse mit sich bringt.
Organisation von Innovation
Eine zentrale Herausforderung bei der Umsetzung von Innovationen ist der dafür notwendige Veränderungsprozess. Innovation lässt sich nicht einfach verordnen, da die Aufgaben und Prozesse von Menschen gesteuert und verantwortet werden, die erst von der Notwendigkeit, der Sinnhaftigkeit und dem Mehrwert einer Innovation überzeugt werden müssen. Dabei spielen Partizipation und Mitbestimmung eine wichtige Rolle, wie zahlreiche Metaanalysen und empirische Studien aus der psychologischen Forschung belegen.
Anfangs ist dafür die Unterscheidung zwischen Kreativität und Innovation von großer Bedeutung. Kreativität beinhaltet Ideen, die zur Lösung eines Problems verwendet werden können. Dabei kann es sich um einen Ansatz, eine Methode, eine Software, einen Algorithmus oder Ähnliches handeln. Zur Innovation wird eine dieser Ideen erst dann, wenn sie erfolgreich angewendet und eingesetzt wird. Genau das ist oftmals die zentrale Herausforderung, da für den Übergang von Kreativität hin zur Innovation die Akzeptanz und Mitwirkung von Stakeholdern aus verschiedensten Unternehmensbereichen und auf unterschiedlichen Hierarchieebenen erforderlich sind. Eine kreative Idee kann auch von einer einzelnen Person oder von einem kleinen Personenkreis ertüftelt werden, doch für die Umsetzung ist ein komplexer sozialer Prozess im Unternehmen erforderlich.
Hier kommen dann die bereits erwähnten Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei der Organisation von Innovation ins Spiel. Auf einer Metaebene betrachtet geht es darum, dass die Unternehmenskultur innovationsfreundlich und experimentierfreudig sein sollte. Offenheit für Neues ist nicht nur ein Persönlichkeitsmerkmal von Einzelpersonen, sondern ebenso ein Kulturmerkmal eines Kollektivs aus hunderten oder tausenden Personen. Bereits seit Jahrzehnten wird in der Praxis geforscht und experimentiert, wie Veränderungen in Unternehmen gelingen können – von der lernenden Organisation bis hin zu agilen Strukturen. Ein Patentrezept wird es hier aus wissenschaftlicher Perspektive nie geben, da die Historie, die Kultur und die Eigenschaften zentraler Entscheidungsträger jedes Unternehmens zu unterschiedlich sind. Dennoch lassen sich aus Metaanalysen zentrale Erfolgsfaktoren für organisationale Veränderungsprozesse ableiten, die von der Entwicklung und Kommunikation einer Vision bis hin zur Möglichkeit der Beteiligung aller Mitarbeitenden reichen. Doch eine disruptive Innovation in HR, die jede Führungskraft und jeden Mitarbeitenden betrifft, erfordert natürlich einen anderen organisationalen Veränderungsprozess als eine inkrementelle und somit „kleinere“ Innovation, die eher an einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess erinnert.
In jedem Fall steht fest: Jede Innovation in HR muss konsequent den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Sowohl in Bezug auf die Zielsetzung der Innovation als auch im Hinblick auf die Gestaltung des Veränderungsprozesses. Employee Experience und Employee Centricity sind hier zwei Schlagwörter, die in jeder HR-Abteilung handlungsleitend sein müssen.
Das Zusammenspiel von Stabilität und Innovation
Mehr Innovation, mehr Zukunftsfähigkeit. Mehr Veränderung, mehr Profitabilität. Einige Mitarbeitende in mittleren und großen Unternehmen werden ihre Arbeitsrealität hier durchaus wiedererkennen, nachdem in den letzten Jahren die Intensität und Häufigkeit von organisationalen Veränderungsprozessen sowie die Betonung von deren Notwendigkeit nachweislich zugenommen hat.
Dabei hilft die Rückbesinnung auf die Unabdingbarkeit von Innovation aufgrund von Megatrends, die sich über Jahrzehnte auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft auswirken. Oftmals sind Intensität und Häufigkeit von organisationalen Veränderungen weniger rationalen Argumenten geschuldet, sondern resultieren eher aus machtpolitischen und kapitalmarktgetriebenen Dynamiken. Dabei ist die Abwägung essenziell, ob eine Innovation wirklich notwendig ist – denn stabile Phasen sind für die Etablierung von Innovationen von sehr großer Bedeutung. Ideen lassen sich in kürzester Zeit sammeln, doch die Umsetzung und Etablierung einer einzigen Software oder Methode kann Jahre dauern. Wenn dann allerdings die Entscheidung auf eine ungeeignete Innovation fällt, weil nicht Employee Experience und Employee Centricity, sondern Einfluss und Macht ausschlaggebende Entscheidungskriterien sind, dann haben Unternehmen Jahre verloren. Wenn ein Unternehmen von einer „Innovation“ zur nächsten jagt, macht sich unter den Mitarbeitenden Veränderungsmüdigkeit breit.
Um das Problem zu veranschaulichen, hilft der Vergleich mit einem trivialen Beispiel: Wie oft schon haben sich viele von uns Neujahrsvorsätze gemacht. Selten scheitern wir an den Vorsätzen an sich, sprich an mangelnden Ideen. Fast immer scheitern wir jedoch an der Umsetzung einzelner Vorsätze, und genau deshalb ist die Organisation von Innovation in HR und darüber hinaus von so essenzieller Bedeutung.
HR als Vorbild für gelungene Veränderung
In den letzten Jahren wurde immer wieder von HR als Gestalter gesprochen. Doch unserer Einschätzung nach geht es nicht nur um Gestaltung, sondern darum, dass HR den Menschen so konsequent in den Mittelpunkt stellt, dass der gesamte HR-Bereich zu einem Vorbild für gelungene Innovation und Veränderung wird. Denn egal, wie fortschrittlich die Technologie ist – von Künstlicher Intelligenz über Blockchain bis hin zu People Analytics –, es sind die Mitarbeitenden eines Unternehmens, die Veränderungen akzeptieren und mitgestalten müssen. Leider sieht die Realität in vielen Unternehmen noch anders aus – doch genau an dieser Stelle muss zukunftsorientierte Personalarbeit ansetzen und eine Vorbildrolle einnehmen.
Hier finden Sie eine Übersicht über alle Gewinner des HR Innovation Awards 2023.
Dieser Beitrag ist erschienen in Personalmagazin Ausgabe 10/2023. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.
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