Inklusion im Weltall: Die Recruiting-Pläne der ESA

Die European Space Agency ESA sucht neue Astronauten. Da überrascht es nicht, dass die Anforderungen an die Bewerber hoch sind. Doch das künftige Astronauten-Team soll besonders divers werden: Eine Stelle ist für einen "Parastronaut" angedacht – eine Person mit physischer Behinderung.

Zuletzt hatte die Europäische Raumfahrtbehörde ESA 2008 nach neuen Astronauten gesucht. Eines der bekanntesten Gesichter der damaligen Recruitingrunde ist der Deutsche Alexander Gerst, der von Mai bis November 2014 und von Juni bis Dezember 2018 Langzeitmissionen auf der Internationalen Raumstation ISS absolvierte.

Online-Bewerbungsformular für künftige Astronauten

Wer in seine Fußstapfen treten oder sogar an einer avisierten Mondlandung teilnehmen will, kann sich vom 31. März bis zum 28. Mai 2021 bewerben. Für diesen Zeitraum hat die ESA ein Online-Bewerbungsformular auf ihrer Karriere-Webseite freigeschaltet. Von traditionellen Online-Bewerbungen, für die schnell das Linkedin-Profil hochgeladen und ein Lebenslauf angefügt werden kann, unterscheidet sich die Bewerbung bei der ESA allerdings deutlich.

Bewerbung: Das müssen Astronautenbewerber mitbringen

Astronautenbewerber müssen ein ausführliches Online-Formular ausfüllen, einen Europass-Lebenslauf und einen Motivationsbrief in englischer Sprache hochladen. Weiterhin sind eine Kopie des Passes und ein medizinisches Gutachten eines Flugmediziners vonnöten. Eine Pilotenlizenz müssen die künftigen Astronauten nicht mitbringen, aber die Mindest-Voraussetzungen sind dennoch hoch.

Nach Auskunft von Dagmar Boos, Head of Human Resources Competence & Poilcy Centre, benötigen die Bewerber mindestens einen Masterabschluss in Naturwissenschaften, Medizin, Ingenieurwesen, Mathematik oder Computerwissenschaften. Zusätzlich sollen sie mindestens drei Jahre Berufserfahrung in dieser Disziplin mitbringen. Die dritte Mindest-Voraussetzung sind englische Sprachkompetenzen sowie das flüssige Beherrschen einer weiteren Fremdsprache. Zudem müssen die künftigen Astronauten aus einem der Mitgliederstaaten der ESA kommen. Und sie dürfen nicht älter als 50 Jahre sein, damit sie nach ihrer Ausbildung noch zwei Missionen erfüllen können, bevor sie das Pensionsalter von 63 Jahren erreichen.

Von den Astronauten verlangte Kompetenzen

Noch wichtiger als die formalen Kriterien, die die ESA laut Josef Aschbacher, designierter Generaldirektor der ESA, so niedrig wie möglich hält, sind die persönlichen Kompetenzen: "Eine starke Motivation und die Fähigkeit, mit wechselnden Arbeitszeiten, häufigen Reisen und langen Abwesenheiten von zu Hause, der Familie und dem Sozialleben umzugehen", führen die Kriterienliste der Stellenausschreibung an. Dazu gehören Flexibilität bezüglich des Arbeitsorts (in oder außerhalb Europas), die Bereitschaft, an naturwissenschaftlichen Experimenten teilzunehmen, und das Bewahren von Ruhe unter Druck.

Zusätzliche Kompetenzen wie ein zweiter Mastertitel oder eine abgeschlossene Promotion sind im weiteren Auswahlverfahren von Vorteil, da es gilt, aus Tausenden Bewerbungen die richtigen Kandidaten herauszufiltern. "2008 gab es über 8.000 Bewerbungen", berichtet Aschbacher.

Die Auswahlschritte vom Sichten der Bewerbungen bis zum Jobinterview

"Wirklich wichtig sind Teamfähigkeit in einem interkulturellen und interdisziplinären Umfeld, das konzentrierte Arbeiten auch unter Stress, der Blick auf das Ganze, Neugier und gute Kommunikationsfähigkeiten. Wir suchen Allrounder, keine Fachidioten", sagt Rüdiger Seine, der Leiter des Space Trainings. Diese Kriterien stehen daher im Vordergrund der Bewerberauswahl, die in sieben Schritten erfolgt:

  • Mai bis Juni 2021: Sichtung und Auswertung der Bewerbungen
  • Juli bis November 2021: psychologische Tests
  • Januar bis April 2022: praktische und psychometrische Tests
  • Mai bis Juli 2022: medizinische Auswahl
  • Juli bis September 2022: erste Interviewrunde
  • September 2022: zweite Interviewrunde
  • Oktober 2022: Anstellung und Bekanntgabe des neuen Astronauten-Teams

Inklusion im Astronauten-Team

Die ESA sieht sich seit ihrer Gründung als Ort der Integration vieler Nationalitäten und Ethnien an, nun will sie auch die Inklusion von Menschen mit Behinderung vorantreiben und schreibt erstmals eine Stelle als "Parastronaut" aus: Es ist geplant, eine Person mit körperlicher Behinderung zunächst für die Astronauten-Reserve einzustellen und später auch ins Weltall zu entsenden. "Wir sind der Ansicht, dass nicht allein körperliche Anforderungen die Astronauten definieren sollen", so Seine. Seiner Organisation sei es wichtig, Grenzen zu verschieben und durch Menschen mit Behinderung neue Perspektiven zu gewinnen. "Wir können aber nicht versprechen, jemanden mit Behinderung zu einem bestimmten Zeitraum in den Weltraum zu bringen", so Seine.

Da nicht mit jeder Art von Behinderung die Teilnahme an einer Weltraummission möglich ist, hat die ESA sich an den Klassifikationen der Paralympics orientiert und vier Kategorien festgelegt, die für eine Bewerbung von Personen mit Behinderung in Frage kommen: eine Beeinträchtigung der unteren Gliedmaßen im Bereich des Knöchels oder unterhalb des Knies, ein erheblicher Längenunterschied der Beine oder eine Körpergröße von unter 1,30 Metern. Alle Bewerber mit diesen Behinderungen durchlaufen die gleichen Auswahlverfahren wie alle anderen Bewerber.

Keine Quoten für Astronauten

Abgesehen von dieser "Parastronaut"-Position sieht die ESA keine Quoten für bestimmte Nationalitäten vor, auch keine Frauenquote. 2008 kam ein Sechstel der Bewerbungen von Frauen. Und dieser Frauenanteil hat sich mehr oder weniger auch durch den Auswahlprozess durchgezogen. Am Ende war eine Person des sechsköpfigen neuen Astronauten-Teams weiblich: Samantha Cristoforetti aus Italien. Sie meint zum Thema: "Wir wollen Frauen dazu ermutigen, sich zu bewerben. Frauen denken oft, dass sie nicht gut genug sind. Das wollen wir vermeiden. Man ist nur zu 100 Prozent sicher, zu scheitern, wenn man sich gar nicht bewirbt."


Das Thema Inkusion ist Schwerpunktthema der Personalmagazin-Ausgabe 03/21. Hier geht es um den Umgang mit Behinderungen am Arbeitsplatz, die Rolle von HR und den Aufbau einer inklusiven Unternehmenskultur.


Schlagworte zum Thema:  Recruiting, Inklusion, Personalauswahl