Vor Kurzem bei einem Workshop mit der Führungsriege eines Konzerns zum Thema "New Work": Die Teilnehmer diskutierten intensiv über die vermeintlichen Ansprüche der sogenannten "Generation Y" und "Generation Z". Man merkte dabei sehr schnell, wer selbst Kinder in diesen Altersklassen hatte und die häuslichen Herausforderungen auf die beruflichen Anforderungen übertragen konnte.
Folgt auf Generation Y und Z die Generation Ä?
Mehr im Spaß fragte mich ein Vorstand, worauf wir uns denn bei der dann folgenden Generation – also den heute Zehnjährigen – einzustellen hätten und wie diese denn eigentlich bezeichnet würde. Obwohl ich mich kontinuierlich mit der Zukunft der Arbeitswelt beschäftige und somit auch mit den Unterschieden bei den heranwachsenden Generationen, hatte ich zunächst keine Antwort parat.
Mehr um mich nicht zu blamieren sinnierte ich offen, ob man mit der Bezeichnung der nächsten Generation denn wohl wieder bei "A" anfangen sollte, bevor ich dann mit Augenzwinkern vorschlug, den Umlauten eine Chance zu geben.
Empirische Belege für Sprachlosigkeit
Damit war zumindest für diesen Workshop die "Generation Ä" proklamiert. Weil ich mich heißgeredet hatte, begründete ich die Wahl für die "Generation Ä" – oder besser: "Generation Ähh" – gleich noch mit der Sprachlosigkeit oder Spracharmut der heutigen Kinder. Wenn sich bei den Workshop Teilnehmern bei den Beschreibungen der "Generation Y" und "Generation Z" noch Skepsis und Zustimmung die Waage hielten, bei der "Generation Ä" waren sich plötzlich alle einig, dass Spracharmut und -unlust tatsächlich prägende Merkmale der heutigen Kinder sind.
Im Nachgang des Workshops habe ich versucht, meinen launigen Ausflug mit etwas Empirie und wissenschaftlichem Anspruch zu unterlegen. Und siehe da, es gibt entsprechende Hinweise und es lohnt sich, diese zu teilen.
Das Generationenkonstrukt ist mit Vorsicht zu genießen
Zuvor jedoch sei die Bemerkung gestattet, dass es sich bei den Generationen-Clustern um ein künstliches Konstrukt handelt, das allenfalls einen Grundtrend beschreibt und von dem es individuell jede Menge Abweichungen gibt. Das ist auch gut so, denn eine konforme Masse jeder Alterskohorte wäre wohl so ziemlich das schlimmste, was uns passieren könnte.
Zudem beobachte ich, dass bereits die "Generation Y" weniger homogen ist, als es uns die zahlreichen Bücher und Vorträge zum Thema Glauben machen wollen. Und bei der "Generation Z", die jetzt aktuell in den Arbeitsmarkt eintritt, stelle ich noch weniger trennscharfe Attribute fest und die Abgrenzung von den üblichen Stereotypen gehört schon fast zum guten Ton.
Smartphone-Nutzung macht süchtig – auch die Eltern
Die "Generation Ä" umfasst die heutigen Schulkinder. Die Protagonisten wurden in das digitale Zeitalter hineingeboren und sind wie die "Generation Z" im wahrsten Sinne "Digital Natives".
Eine Studie der britischen Universität Derby kam vor einigen Monaten zu dem Ergebnis, dass Smartphones nicht nur süchtig machen, sondern auch narzisstische Tendenzen und emotionale Instabilität fördern können. Die Wissenschaftler attestierten 13 Prozent der Studienteilnehmer eine Sucht. (Zu einem ähnlichen Ergebnis kam kürzlich auch eine Studie der Uni Bonn.)
Gefährdet sind aber nicht nur die Kinder als Nutzer von Tablet und Smartphone, sondern auch und besonders die Eltern. Weil viele Eltern mehr Zeit damit verbringen, ihre Facebook- und Twitter-Accounts zu pflegen, als mit ihren Kindern zu sprechen, können sich Schulkinder heute schlechter ausdrücken.
Eltern sollten auch nicht nur mit ihren Kindern sprechen, sondern sich mit Ihnen unterhalten. Diese Zwei-Wege-Kommunikation geht jedoch nachweislich in der Hektik der Alltagsbewältigung heutiger Familien immer mehr unter. Damit verkümmern dann die Sprachfähigkeiten. In Neuseeland hat man nachweisen können, dass heutige Erstklässler das Sprachniveau von Fünfjährigen haben.
Ernüchternde Gespräche mit Grundschullehrern
Auch das britische Bildungsministerium bestätigt, dass mehr Kinder mit Sprachschwierigkeiten eingeschult werden. Der britische Bildungsexperte Tristram Hunt berichtet von ernüchternden Gesprächen mit Grundschullehrern, die über Entwicklungsstörungen bei ihren Schützlingen klagen. Insbesondere in weniger wohlhabenden Gegenden habe sowohl das Sprachvermögen als auch die Fähigkeit, mit anderen Kindern zu spielen und zu kommunizieren, abgenommen. Die Lehrer benennen als Hauptschuldige das Smartphone und das Tablet.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung und der Ruhr Universität Bochum zielt in die gleiche Richtung und belegt, dass Kinder aus ärmeren Bildungsschichten deutlich größere Probleme mit Sprache und Ausdruck haben.
Die Schuld wird hier jedoch weniger den neuen Medien gegeben, als vielmehr der deutlich geringeren Nutzung kultureller und sozialer Angebote, vom Sportverein über das Erlernen eines Musikinstrumentes bis zum Theaterbesuch. Auch hier werden insbesondere die Eltern in der Verantwortung gesehen
"Digital Natives" mit analogen Defiziten
Alle Belege zeigen also, dass die "Generation Ä" zwar digital mit allen Wassern gewaschen ist, dafür in der analogen Welt aber Defizite hat, die nachwirken werden.
In einer Arbeitswelt, in der nicht mehr ein einziger Beruf durch das Leben tragen wird, sondern ständige Neuerfindung zum Überleben gehört, werden Spracharmut, ein eingeschränktes Sozialverhalten oder narzisstische Tendenzen zum zeitversetzten Problem in den Unternehmen. Diese werden – wieder einmal- zum Reparaturbetrieb von Elternhaus, Schule und Hochschule.
Schafft Terrorangst eine "Generation Bataclan"?
Auf ein weiteres Phänomen wurde ich kürzlich im Freundeskreis aufmerksam gemacht. Die Kinder meiner Freunde sind ängstlicher, als wir das im Kindesalter waren. Bedrohungen durch Krieg und Terror, Verfolgung und Gewalt – wie gerade in Istanbul – scheinen deutlich spürbarer bei der jungen Generation anzukommen.
Selbst als die Bedrohung noch fern schien, haben die Kinder über den Zugang zu den Medien dies intensiv erlebt und verarbeitet, mit der Ankunft des Terrors in unseren Breitengraden könnte sich ein neues gesellschaftliches und generationsspezifisches Problem erwachsen, das ein Freund treffend als die "Generation Bataclan" bezeichnet hat.
Junge Generation schon immer schlechtgeredet
Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte. Was wie der Seufzer einer heutigen Lehrerin klingt, stammt in Wahrheit von einer Tontafel der Sumerer, immerhin gut 3.000 Jahre vor Christus geschrieben.
Vielleicht stimmt das zum Abschluss versöhnlich. Die Jugend wurde schon immer schlechtgeredet und war dann doch recht passabel. Wenn wir in Politik, Schule und Unternehmen an ein paar Stellschrauben richtig drehen, gilt das ganz sicher auch für die "Generation Ä".
Kolumnist Oliver Maassen
Oliver Maassen ist seit 2013 Geschäftsführer der Pawlik Consultants GmbH. Zuvor war er unter anderem Bereichsvorstand und Personalchef der Unicredit Bank. In seinen früheren Funktionen verantwortete er die Bereiche Personal- und Organisationsentwicklung, Führungstrainings, Personalmarketing und Talent Management. Er ist Gründungsvorstand der Zukunftsallianz Arbeit und Gesellschaft (ZAAG).
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